Essstörung
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/gedanken-zur-woche/15275/essstoerung
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Gedanken zur Woche im Deutschlandfunk
Pfarrer Thomas Drken-Kucharz
aus Frankfurt am Main
Essstrung 15.08.2025
Hanna mchte gern die Leistung erbringen, die von ihr erwartet wird. Sie wnscht sich Kinder, unbedingt. Aber sie wird und wird nicht schwanger. Ihr Mann Elkana liebt und schtzt sie. Allerdings leben die beiden in einer durch und durch patriarchalen Gesellschaft vor 3000 Jahren. Also hat Elkana noch eine Frau, und mit der hat er Kinder. Dennoch hlt er weiter zu Hanna.
Seine Zweitfrau aber krnkt Hanna, so oft sie kann. Es kommt so weit, dass Hanna nicht mehr isst. In ihren eigenen Augen entspricht sie nicht dem damaligen Ideal einer Frau. Sie erbringt die familir und gesellschaftlich gewnschte Leistung nicht. Und sie hlt die Krnkungen nicht mehr aus. Hanna hat eine Essstrung. Sie bringt keinen Bissen mehr runter aufgrund all dessen, was nicht stimmt in ihrem Leben.
Die biblische Hanna hat heute viele Leidensgenossinnen. Und damit meine ich nicht ihre Kinderlosigkeit, sondern die Essstrung. Diese Woche meldete das statistische Bundesamt: Die Zahl der Mdchen zwischen zehn und 17, die wegen einer Essstrung stationr behandelt werden, hat sich in 20 Jahren verdoppelt. Im Jahr 2023 mussten 6000 deshalb ins Krankenhaus.
Mit Essstrungen ist nicht zu spaen. Sie sind eine Krankheit, viel zu oft eine lebensbedrohende Krankheit. Es gibt kein schnelles Rezept, wie man da rausfindet. Appelle helfen gar nicht weiter. Der Weg aus der Krankheit fhrt ber Therapien und jahrelange Begleitung. In akut bedrohlichen Situationen hilft manchmal nur stationre Behandlung.
Ob Magersucht, Bulimie oder Binge Eating, also Heihunger-Anflle: Die Ursachen sind komplex. Sie haben oft mit Familienkonstellationen zu tun und mit Krnkungen. Sie sind ein Ausdruck fr den verzweifelten Wunsch nach Anerkennung. Und eine immer grere Rolle spielen Leistungsdruck und ein Selbstbild, dem die oder seltener auch der Kranke nicht gerecht werden kann.
In der biblischen Geschichte vergleicht sich Hanna mit der anderen Frau: Die hat Kinder, Hanna nicht. Den Druck des dauernden Vergleichens erleben junge Menschen heute in den sozialen Medien. Sie sehen dort stndig Idealbilder, wie schlank und schn die anderen sind. So wollen sie auch sein. Und durch das Vernetzen in den sozialen Medien erhht sich dieser Druck noch.
Mir haben Betroffene und Angehrige erzhlt: In diesem langen Krankheitsverlauf geht es darum, dass die betroffene Person entdeckt: Ich bin wer auch jenseits meiner Familie und unabhngig davon, was andere ber mich denken. Sie mssen ein positives Verhltnis zu sich gewinnen, lernen, sich selbst und den eigenen Krper anzunehmen und zu lieben.
In der biblischen Geschichte ist Hannas Mann verzweifelt. Er sagt zu ihr: Aber ich liebe dich doch! Warum isst du nichts? hnlich erleben das Angehrige von Betroffenen heute auch. Ihre Liebe und Zuwendung scheinen nicht zu helfen. Trotzdem sind sie immens wichtig. Das hilft nicht direkt gegen die Krankheit. Aber es hlt am Leben. Es stabilisiert. Es kann das Schlimmste verhindern, zu wissen und zu spren: Meine Familie liebt mich.
Hanna in der Bibel macht eine neue Erfahrung der Wertschtzung, als sie im Tempel betet und sich Gott anvertraut. Ein Priester sieht, wie sie wie irre stumm die Lippen bewegt, und hlt sie erst fr betrunken. Aber dann versteht er ihre Verzweiflung und segnet sie. Danach fngt Hanna wieder an, etwas zu essen. Sie findet langsam ins Leben zurck. Obendrein wird sie schwanger und bekommt ein Kind, den spteren Propheten Samuel.
Die dramatische Geschichte in der Bibel geht also gut aus. Sie bietet kein Rezept fr den Umgang mit Essstrungen. Sie ist ein Urbild dafr, dass man nicht aufgeben braucht und darf, gerade als Eltern oder Geschwister einer Erkrankten. Die betroffenen Mdchen und jungen Frauen, die ihren Weg zu sich selbst finden, gewinnen dabei eine neue, innere Strke.
Die Geschichte von Hanna zeigt mir auch: In der Religion, richtig verstanden, kann heilende Kraft stecken. Schlielich ist die Grundbotschaft christlicher Existenz: Gott liebt mich und jede und jeden, wie er oder sie ist. Niemand muss etwas leisten, um geliebt und angenommen zu sein.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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