Versöhnung braucht Verschiedenheit

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pastor Matthias Viertel

aus Kassel

Vershnung braucht Verschiedenheit 25.08.2025

Ich wohne in einem Mietshaus. Insgesamt leben dort zehn Parteien. Es sind Familien, Paare und Wohngemeinschaften. Ein bisschen kommt mir dieses Haus vor wie ein Spiegel unserer Gesellschaft. Jede und jeder hat seine eigene Geschichte und Herkunft.

Ab und zu treffen wir uns in einer der Wohnungen, um wichtige Mieterangelegenheiten zu besprechen. Manchmal sitzen wir drauen zusammen, auf dem Boulevard vor dem Haus, trinken etwas. Dann gibt es auch etwas zu essen, und wir reden miteinander, erzhlen uns aus dem Leben.

Die Flle der Biografien ist beeindruckend: Junge und Alte, Gesunde und Kranke. Ein Paar kommt aus Ungarn, sie sind erst im Alter hergezogen. Eine Frau ist in Asien geboren. Eine andere Familie stammt aus Syrien, eine trkische ist gerade ausgezogen. Einige Kulturen versammeln sich unter diesem Dach, das uns allen ein Zuhause bietet. Und auch die Religionen kommen vor: Katholiken, Protestanten, Muslime, Juden und jene, die keinen Glauben haben.

Im Alltag sind diese Verschiedenartigkeiten nicht zu merken. Allenfalls an den Namen am Klingelschild knnte man sie erahnen. Aber wenn wir an den warmen Sommerabenden zusammensitzen, kommen wir in den Gesprchen fast automatisch darauf zu sprechen. Meistens beginnt das mit einer Bemerkung zum Essen oder zu einem tagespolitischen Ereignis. Zurzeit ist die Einschtzung der politischen Lage in Israel und Gaza ein Triggerpunkt. Urpltzlich verhrtet sich das Gesprch. Die Stimmung droht zu kippen.

In diesen Momenten ist mir der Mikro-Kosmos unseres Mietshauses besonders wichtig. Hier zeigt sich, wie und ob Verstndigung berhaupt gelingen kann, oder ob sich die Beteiligten in beleidigter Manier zurckziehen. Hier kann ich die Verstndigung trainieren.

Im Hinterkopf habe ich dabei ein Modell aus der weltweiten kumenischen Bewegung. Es nennt sich vershnte Verschiedenheit. Es geht darum anzuerkennen: Ja, wir haben Meinungsverschiedenheiten, aber deshalb knnen wir trotzdem vershnt zusammenleben.

Am Anfang haben wir uns darum bemht, das Gemeinsame zu betonen. Wir wollten uns dadurch nherkommen und besser verstehen. Inzwischen legen wir mehr Wert auf die Unterschiede. Und zwar nicht nur auf die wohltuenden Unterschiede beim Essen oder bei den groen Festen. Wichtiger sind die konflikttrchtigen Differenzen. Die Situation in Israel und die Lage der Palstinenser ist so ein Thema oder die Rechte der Frauen oder die Rolle der USA.

Wenn wir darber diskutieren, zeigt sich: Wir leben nicht vershnt zusammen, weil wir alle gleich sind. Wir kommen miteinander aus, obwohl es so viele Differenzen gibt. Vershnte Verschiedenheit gibt es nur dort, wo auch die Unterschiede nicht totgeschwiegen werden. Es ist so wichtig, nicht nur das Gemeinsame zu sehen, sondern auch das, worin wir uns unterscheiden.

Zu einem Ergebnis kommen wir in unserer Hausgemeinschaft dabei nicht. Das Ziel der Gesprche liegt auch nicht darin, dass am Ende alle gleicher Meinung sind. Schon bei der Frage, was ideologische Verzerrung oder gar Lge ist und was als wahr eingestuft werden darf, schon da ist jede und jeder von uns vom jeweiligen kulturellen Kontext geprgt. Statt auf Einverstndnis zu zielen, begngt sich unser Miteinander auf den Umgangsstil: gleichberechtigte Partner auf Augenhhe, gegenseitige Wertschtzung, die prinzipielle Bereitschaft, mglicherweise voneinander zu lernen, und natrlich: Keine Gewalt!

Die vershnte Verschiedenheit braucht die Unterschiede. Wer Differenzen nicht akzeptieren will, verbaut die Chance auf ein gutes Miteinander der Religionen und Kulturen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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