Scham

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pastor Matthias Viertel

aus Kassel

Scham 27.08.2025

Ganz weit am Anfang der Bibel steht die Geschichte von Adam und Eva, sie ist also recht wichtig. Die Themen in dieser archaischen Erzhlung sind vielschichtig. Zunchst geht es um eine mythologische Erklrung dafr, wie die Menschen entstanden sind. Gleich danach kommt das Thema der Scham.

In der biblischen Erzhlung essen Mann und Frau im Garten Eden vom verbotenen Baum der Erkenntnis. Sie werden sich daraufhin bewusst, dass sie nackt sind. Nackt heit auch: Sie sind verletzlich, sie schmen sich. Scham ist eine eigentmliche Mischung aus Schuldbewusstsein und Entblung. Adam und Eva flechten sich einen Lendenschutz aus Feigenblttern.

Mehrere tausend Jahre nach der Entstehung dieses Mythos hat sich der Kontext verndert. In der Ratgeberliteratur finden sich zahlreiche Empfehlungen, man brauche sich eigentlich fr nichts zu schmen. *

Das ist zum Teil begrndet, vor allem dann, wenn etwa Schnheitsideale vorgegeben werden, denen ich nicht entspreche. Es ist also das, was heute als Bodyshaming beschrieben wird: ein besonders durch die sozialen Medien erzeugtes Gefhl der Missachtung, weil man nicht dem Schnheitsideal entspricht.

Dagegen hilft eine spezielle Widerstandskraft, die Scham-Resilienz. Das kann wichtig sein, weil bergestlpte Schamhaftigkeit mit der Zeit krank macht.

Von alledem ist in der biblischen Geschichte aber nicht die Rede. Bei der Erzhlung von Adam und Eva geht es um die kulturbildende Bedeutung, die das besondere Gefhl der Scham hat. Wenn Menschen in greren Gruppen zusammenleben, kommen sie einander mitunter nher, als willkommen ist. Dann braucht es die Scham als Sensor. Ich lebe eben nicht wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Was ich mache und wie ich mich verhalte, hat immer Auswirkungen auf meine Mitmenschen.

Die Scham wacht deshalb ber soziale Systeme. Sie garantiert deren Funktionieren. Und das wirkt immer zweiseitig: In bestimmten Situationen mchte ich einfach von anderen Menschen nicht beobachtet werden. Ich fhle mich unangenehm berhrt, wenn ich mir entblt vorkomme, und das ist sowohl krperlich als auch seelisch gemeint. Genauso geht es den anderen. Bei der Scham handelt es sich fast immer um die Entscheidung zwischen Hinschauen und Wegschauen. Immer wenn etwas sehr Privates ffentlich wird, setzt dieses Unbehagen ein. Ich fhle mich verletzt, beobachtet, schutzlos.

In solchen Situationen mchte auch ich wie weiland Adam und Eva nach einem Feigenblatt greifen oder, wenn das nicht geht, am liebsten weglaufen und mich verstecken. Es ist ein unangenehmes Gefhl, das da in der biblischen Paradiesgeschichte genau beschrieben wird. Aber es ist auch ein sehr wichtiges. In der Scham zeigt sich die Fhigkeit, auf mich selbst zu schauen, als wre ich ein anderer. Mir wird bewusst, wie andere mich sehen. Es ist die soziale Wahrnehmung der eigenen Persnlichkeit.

Es ist also durchaus riskant, alle Schamhaftigkeit aus dem Wege rumen zu wollen oder sie als unbegrndet abzutun. Der Philosoph Max Scheler hat sie einmal als das natrliche Seelenkleid beschrieben, ein Gewand, in dem das eigene Gewissen sich bemerkbar macht. Wer das Gefhl der Scham als Akt der Befreiung beseitigen will, bersieht die sozialen Folgen der Schamlosigkeit.

In der Geschichte von Adam und Eva wird das deutlich. Htten sie nicht die Frucht vom Baum der Erkenntnis gepflckt, wre die Scham gar nicht entstanden. Aber damit htten sie auch nicht die Fhigkeit gewonnen, Gut und Bse zu erkennen und zwischen Richtigem und Falschem zu entscheiden. In diesem Sinne wirkt die Scham sogar befreiend, weil sie mir meine Entscheidungsfhigkeit bewusst macht.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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