Menetekel
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/wort-zum-tage/15306/menetekel
Transkript anzeigen
Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrer Martin Vorlnder
aus Frankfurt am Main
Menetekel 16.09.2025
Ein Liebespaar spaziert durch die nchtlichen Straen von Frankfurt am Main. Es sieht so aus, als htten die beiden sich lnger nicht gesehen. Er trgt einen Koffer und ist wohl gerade von einer Reise zurckgekommen. Die beiden bleiben immer wieder stehen, kssen, knutschen. Er stellt dabei den Koffer auf den Boden.
Der Koffer ist prpariert. Er hat an der Unterseite Buchstaben, die aus Schaumstoff ausgeschnitten sind. Der Schaumstoff ist mit einer Silbernitratlsung durchtrnkt. Die hat den Effekt: Wenn am Morgen das Tageslicht auf den Asphalt fllt, dann verfrbt sich der Abdruck und eine Schrift erscheint auf dem Boden. Auf einmal steht da: Weg mit Hitler! Die Silbernitratlsung hat noch eine Eigenschaft: Sie lsst sich nur schwer entfernen. Es steht also eine ganze Weile an jeder Stelle, an der das Liebespaar den Koffer abgestellt hat: Weg mit Hitler!
Das war 1933, nicht lange, nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren. Das Liebespaar hie Anna Beyer und Ludwig Gehm. Beide gehrten zum Internationalen Sozialistischen Kampfbund. Sie haben kleine Zeichen des Widerstands gegen Hitler gesetzt. Kleine Zeichen wie die Aktion mit dem prparierten Koffer.
Was bringt das? Die Nazis hat es nicht aufgehalten. Trotzdem beeindruckt mich die Aktion mit dem Koffer. Anna Beyer und Ludwig Gehm haben gezeigt: Es gibt noch Menschen in der Stadt, die der Gewaltherrschaft nicht zujubeln. Ich bewundere den Einfallsreichtum und die Raffinesse der beiden. Sie leisten nicht offen Widerstand. Sie haben eine versteckte Methode gefunden. Weg mit Hitler! Der Schriftzug auf dem Asphalt ist ein stilles lautes Zeichen.
Mich erinnert das an die Erzhlung in der Bibel vom Menetekel, einer geisterhaften Schrift an der Wand. In der Erzhlung geht es ebenfalls um einen Gewaltherrscher, Knig Belsazar. Der feiert ein Saufgelage mit seinen Mchtigen. Er trinkt aus den Gefen, die er aus dem Tempel in Jerusalem geraubt hat.
Auf einmal erscheint eine Hand ohne Krper und schreibt an die getnchte Wand eine Schrift, die niemand lesen kann. Der Knig wird bleich vor Schreck. Er lsst alle Wahrsager kommen, um die Schrift zu deuten. Schlielich entschlsselt der Prophet Daniel dem Knig, was an der Wand steht: Mene tekel. Mene, das ist, Gott hat dein Knigtum gezhlt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich mit der Waage gewogen und zu leicht befunden. (Daniel 5,26)
Weg mit Hitler! Der Satz wurde erst schreckliche zwlf Jahre spter fr Hitler zum Menetekel. Aber man muss Zeichen setzen gegen Willkr. Und auch stille Zeichen knnen laut sein. Anna Beyer und Ludwig Gehm haben getan, was sie konnten. Und sie haben beide Hitler und seine Schreckensherrschaft berlebt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
Weitere Sendungen, Informationen, Audios und mehr finden Sie unter:
http://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/deutschlandfunk/morgenandacht
Facebook: https://www.facebook.com/deutschlandradio.evangelisch
2
1
Neuer Kommentar