Aufbauen statt zerstören
Shownotes
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Melitta Mller-Hansen
aus Mnchen
Aufbauen statt zerstren 23.09.2025
Im letzten Sommer habe ich den Komponisten Arvo Prt und seine Musik tiefer entdeckt. Auf einer Reise durch seine Heimat Estland. Vor kurzem ist er 90 Jahre alt geworden.
Ein Kind des 20. Jahrhunderts, gezeichnet von Krieg, Armut, von Deportationen vieler Menschen aus Estland nach Sibirien. Von klein auf ist Musik seine Zuflucht. Er arbeitet in Tallinn beim Rundfunk und hat alles zur Verfgung die besten technischen Gerte, die im damaligen Ostblock verfgbar sind, eine tolle Ausbildung. Er macht und vor allem schreibt er selbst Musik. In der Sowjetunion ein gewagtes Unterfangen, denn alles konnte als subversiv gelten, staatsgefhrdend.
Arvo Prt wird ein erfolgreicher Filmmusik-Komponist. Er nimmt sich die Form der Zwlftonmusik vor, in der sich alles immer wieder in Auflsung befindet. Er macht das lange und erfolgreich. Aber es bringt ihn innerlich an eine Grenze. So will er nicht weitermachen. Dann probiert er aus, die alte Musik, Johann Sebastian Bach vor allem, zu studieren und Zitate daraus neu zusammenzufgen. Musik-Collagen. Aber auch das ist noch nicht das, was er sucht. Sackgasse. Nichts geht weiter.
Dann gert Prt zufllig in einen Plattenladen und bekommt Sekunden einen gregorianischen Choral zu hren. Eine Welt, die er noch nicht kennt nur eine Stimme, keine Harmonie, kein Orchester. Eine nackte, vollkommen reduzierte Melodie. Das packt ihn. Und so beginnt seine lange Reise zu einer ganz neuen Musikfarbe. Es ist eine schmerzhafte und entbehrungsreiche Zeit, die er durchmacht. Er hrt ganz auf, Stcke zu komponieren. Er hrt ganz auf, Musik zu machen.
Am Anfang steht dieses Stckchen Gregorianik und dann die Begegnung mit einem Satz aus der Bergpredigt von Jesus: Ich sage euch, dass ihr nicht widerstehen sollt dem bel. (Matthus 5,39) Arvo Prt versteht das als Aufgabe, nicht mit der Welt zu kmpfen, dies oder jenes zu verurteilen. Der Sinn jeder Handlung sei, aufzubauen statt zu zerstren.
Das sucht er zu leben und auszudrcken mit seiner Musik, mit ganz anderen Klngen. Jahrelang schreibt er nur Melodien zu Psalm-Versen, jeden Tag. Er schaut den Vgeln am Himmel zu und imitiert in der Melodie ihre Flugformation. Er betrachtet Fotos von Bergen, hrt auf den Gesang der Birken und Kiefern, wenn der Wind durch die Wipfel fhrt. Von ihnen will er einen neuen Klang erlauschen. Doch der zeigt sich nicht. Und es ist nicht klar, ob er diese verzweifelte Suche berlebt.
An einem Sonntag, seine Frau Nora hat vorgeschlagen, zur Abwechslung einen Waldspaziergang zu machen, setzt Arvo Prt sich noch mal hin, und es passiert. Nach fast acht Jahren kommt der Arvo Prt-Klang zu ihm und zur Welt. Eine Melodie getragen von einer zweiten tieferen Stimme, das ist eines ihrer Kennzeichen. Der persnliche Weg und die ewige Wahrheit. Das Subjektive und das Objektive. Die Snde getragen von der Gnade so knne man beschreiben, was hier zu hren ist, sagt er. Und auch: Zum Schweben braucht man zwei Flgel.
An einem Abend im Oktober 1980 klingelt ein Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei an der Haustr des Komponisten in Tallinn. Er legt Arvo und Nora Prt nahe, das Land umgehend zu verlassen. Ansonsten wrden harte Repressalien folgen. Diese klare Musik ist zu subversiv fr das System. Die Prts steigen zwei Wochen nach diesem Besuch in einen Zug nach Wien, mit zwei Koffern und einem kleinen Kind im Arm. Und mit ihnen reist Arvo Prts Musik. Mitten in der Welt des bels macht sie die Welt des Friedens und der Liebe gro.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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