Gnade
Shownotes
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Melitta Mller-Hansen
aus Mnchen
Gnade 25.09.2025
Wann genau die Gnade fast verschwunden ist aus der Alltagssprache, wei ich nicht. Aber ich bin auf eine Redewendung gestoen, in der sie noch ganz lebendig war. Die Sonne geht zur Gnaden. So heit es im Grimmschen Wrterbuch der deutschen Sprache, aus dem 18. Jahrhundert. Wie platt unser die Sonne geht unter dagegen klingt.
Die Sonne geht zur Gnaden und strahlt umso heller dann am Morgen. Welche Lebenserfahrung mit der Gnade ist hier erhalten? Fr die Augen, die der Sonne folgen am Abend, geht sie zur anderen Seite der Welt. Sie steigt hinab in die Nacht. Und wenn ich der Spur des Sprichworts folge, ist das der Weg, der zur Gnade fhrt.
Wenn ich den Sonnenuntergang beobachte, ist manchmal auch ein wenig Wehmut dabei, eine kleine Traurigkeit. Es geht etwas zu Ende. Ich muss Abschied nehmen. Von diesem Tag und immer wieder von vielem im Leben. Der Weg in die Nacht steht auch mir bevor, wenn die Sonne geht.
Ihren Weg in die Nacht beschreibt die Schriftstellerin Marica Bodrozic als dramatisches Erlebnis. Sie hat Gewalt erfahren von Mutter und Vater, von anderen Verwandten. Signale wie dich sollte es am liebsten gar nicht geben. Sie sagt, diese Menschen haben ihr das innere Figurenkabinett mit Gewalt beschriftet. Das ist schon lange vorbei. Trotzdem lebt diese alte Welt im Inneren weiter und behauptet immer wieder: Ich bin deine ganze Welt. Ich bin die einzige Wahrheit in deinem Leben.
Dieser Negativitt fhlen sich auch Menschen ausgesetzt, die an ihrem Krper unversehrt geblieben sind. Die Signale von auen und aus dem Inneren knnen trotzdem so sein, dass nur noch Nacht zu sehen ist mitten am Tag.
Aber ich bin nicht zerstrt worden, sagt Marica. Ich bin immer noch da. Ich bin zu Gnaden getragen worden. Da ist sie wieder, die Gnade. Die Sonne geht zur Gnaden. Ich bin zu Gnaden getragen worden. Wie eine Selbstbehauptung erlebt Marica das. Zunchst den vernichtenden Urteilen nicht zustimmen. Diese Freiheit haben wir. Was andere von mir behaupten, was sie mir einreden wollen, das ist nicht meine ganze Welt. Ich stimme den vernichtenden Urteilen ber das Leben nicht zu. Auch denen nicht, die in mir ganz persnlich ihr Unwesen treiben.
Dann kann es sein, dass aus dem eigenen Inneren etwas Neues auftaucht. Andere Gedanken, so wie bei Marica: Du musst nicht kmpfen, um gesehen zu werden. Du bist jetzt krank, trotzdem bist du vollstndig. Du bist liebenswert. So erlebt sie das. Wie kleine Vgel fliegen die Gedanken durch die Seele und schaffen etwas Neues in der Dunkelheit. Neue Flugbahnen. Ein Lebensnetz, ein Lebensmuster, ein liebendes Gefge, sagt Marica.
Diese Stze kommen wer wei woher? Man kann ihnen nur lauschen wie einer erlsenden, liebevollen Stimme. Ich bin nicht mehr isoliert oder mangelhaft. Ich bin zu etwas hingetragen worden, das ich nicht mache. Das mich aber glcklich und froh macht. Ich bin zu Gnaden getragen worden.
Eine Freundin hat mir erzhlt: Sie war ber lngere Zeit einer Person ausgesetzt, die mit negativer Kritik auf der Zunge jeder und jedem in ihrer Nhe nachstellte und alle zur Schnecke machte. Es war fr mich eine Gnade, sagt sie, jeden Tag und manchmal im gleichen Augenblick die Bume anzuschauen, Jasminduft einzuatmen, den Sptsommerhimmel ber mir. Ich htte das sonst nicht berstanden. Sie hat Gnade als eine Verbindungskraft erlebt, eine Lebens- und Liebeskraft. Die Kraft, die sie davor bewahrt, sich die Schlechtmacherei zu eigen zu machen. Die Kraft, die ihre Augen fr das Schne ffnet. Die Kraft, die gegen Luftverpester Jasminduft in die Nase wehen lsst.
Auf die Kraft der Gnade setze ich. Vom Aufgang der Sonne und bis sie zur Gnaden geht.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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