Kaddisch

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/morgenandacht/15264/morgenandacht-07102025

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pfarrer Martin Vorwald

aus Hannover

Kaddisch 07.10.2025

Genau ein Jahr her. Ein kalter, klarer Tag. Am Hauptbahnhof Hannover geht ein Demonstrationszug vorbei. Ein Gedenk-Zug. Ein Trauer-Zug. Still, schweigsam, kein Megafon, keine Parolen. Leise, ohne Worte. Es sind Angehrige der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, einer Arbeitsgemeinschaft. Darunter ein paar junge Leute, dazu Mnner in Funktionsjacken, Frauen mit dunklen Schals. Sie tragen Tafeln mit Fotos, eine Fahne mit dem Davidstern. Am Jahrestag des blutigen berfalls der Hamas auf Israel erinnern sie an das Schicksal der verschleppten Geiseln, die Sorge der Angehrigen, die Trauer um die Ermordeten.

Am Straenrand hat sich eine grere Zahl an Gegendemonstranten versammelt. Sie schreien den stillen Trauerzug nieder. Einige tragen die Kufiya, das sogenannte Palstinensertuch, schwenken Fahnen in Schwarz, Wei, Grn mit dem roten Dreieck. Erhobene Fuste und immer wieder der Ruf: Free, free Palestine!

Polizisten bilden eine Kette am Straenrand. Sie halten den Trauerzug und die Gegendemonstranten voneinander getrennt. Schwarze Helme mit Nackenschutz, Bodycams, Schlagstcke. In meiner Magengegend breitet sich ein flaues Gefhl aus. Die Wut ber den Krieg in Gaza kann ich verstehen. Voll und ganz. Aber muss man deshalb ausgerechnet am 7. Oktober das stille Gedenken stren?

Das war vor zwlf Monaten. Heute ist es bereits zwei Jahre her, dass die Hamas Israel berfallen hat. Am 7. Oktober 2023, ber tausend Jdinnen und Juden ermordet, ber hundert Geiseln verschleppt.

Ich erlebe es berall: in der Kneipe, an der Schule meiner Kinder, mit Nachbarn, in der Kirchengemeinde und im Freundeskreis. Der Nahostkonflikt entzweit. Der Hamas-Terror und der Krieg der israelischen Regierung in Gaza lsst Gesprchspartner schnell unvershnlich gegenberstehen. Wutschnaubend, lautstark und dabei bleibt es meistens. Es wchst kein Verstndnis. Es entsteht keine Brcke, nur die Grben werden tiefer.

Demokratie lebt vom Streit. Dabei sollen Leid und Unrecht beim Namen genannt werden. Ja, das kann auch mal lautstark geschehen. Aber niemals darf eine solche Debatte zu Antisemitismus fhren. Und genau das geschieht, auf der Welt und bei uns in Deutschland. In Flensburg hngt ein Hndler ein Schild ins Schaufenster mit der Aufschrift: Juden haben hier Hausverbot! *

Die Mnchner Philharmoniker werden mit ihrem israelisch-jdischen Dirigenten von einem Musikfestival in Gent ausgeladen. Um die Gelassenheit [der Veranstaltung] nicht zu gefhrden, so die Organisatoren. Da entstehen Initiativen, um Israel von kommenden Sportevents auszuschlieen. Nicht zu vergessen die Pfiffe whrend des Auftritts der israelischen Knstlerin beim letzten ESC in Basel.

Einer meiner jdischen Freunde hat eine Postkarte bekommen mit dem Satz: Zionisten sind Faschisten. Handschriftlich mit Kugelschreiber, ordentlich frankiert, aber ohne Absender. Ich wei Jdinnen und Juden, dass sie sich vom Taxi nie vor der eigenen Haustr absetzen lassen. Immer ein paar Straen weiter, damit die Familie geschtzt bleibt. Und den gepackten Koffer zu Hause, den gibt es bei einigen tatschlich. Immer bereit, das Land zu verlassen, wenn der Hass nicht mehr auszuhalten ist.

Dieser 7. Oktober gehrt den verschleppten Geiseln, den Familien der Ermordeten. Es ist ein Tag der Trauer. Und Trauer hat Stille und Andacht verdient. Bei jdischen Familien, die einen Angehrigen verloren haben, wird das Kaddisch gesprochen.** Am Tag der Beerdigung, in der Trauerwoche und jedes Jahr am Todestag. Das Kaddisch ist ein Heiligungsgebet. Es drckt Vertrauen aus: Jenseits von allem Leid ist und bleibt Gott, der die Welt geschaffen hat. Gott hlt die Welt auch weiter in seiner Hand. Erhoben und geheiligt werde Gottes groer Name.

Trauer ist ein starkes Gefhl, eine Brcke. Menschen kommen einander nher, wenn sie ihren Kummer miteinander teilen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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