Heute soll es Mozart sein

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/12890

Transkript anzeigen

Streng ist sie; und vornehm. Nach außen zeigt sie keine Gefühle. Das weiß die Familie. Und der Enkel auch. Oma ist vornehm und streng, heißt es immer hinter vorgehaltener Hand. Eines Tages dann aber nicht mehr. Da liegt Oma im Bett im Altenheim und wartet auf den Tod. Nichts an ihr ist mehr vornehm oder streng. Einem lässt das keine Ruhe. Dem Enkel, 15 Jahre alt. Ihm tut die Oma nur leid. Er hat kein Mitleid; es ist eher Mitgefühl. Etwas in ihm lässt ihm keine Ruhe. Oma soll nicht nur liegen. Sie soll nicht nur auf Pfleger oder Schwester warten und an die Decke schauen. Oma hört so gerne Musik, das weiß der Junge. Also packt er sich seinen Plattenspieler unter den Arm. Damals, vor fünfzig Jahren. Links hat er den Plattenspieler in einer Tasche, rechts ein paar Schallplatten. So geht er zu Fuß durchs Dorf. Ins Altenheim. Oma schläft, als er kommt. Leise packt er alles aus und legt eine Platte auf. Heute soll es Mozart sein.

Oma wacht auf und glaubt, dass sie träumt. Tut sie aber nicht. Manche Musik ist wie der Himmel auf Erden. Mitten im kleinen Zimmer. Oma kommen die Tränen. Mein Junge, sagt sie und kann nicht weiter sprechen. ‚Mein Junge‘ hatte sie noch nie zum Enkel gesagt. War ihr wohl nicht vornehm, nicht streng genug. Und noch etwas geschieht, einfach so. Oma sucht die Hand des Jungen. Die alte Hand mit den Falten fasst die junge Hand an. Das gab es noch nie im Leben. Früher, in den Zeiten der Strenge, gab es auch keine Umarmung oder Küsschen. Heute geht alles.

Heute ist Liebe da. Der Junge sucht danach. Irgendwie. Will der Oma Gutes tun. Ihr den Tag schön machen. Ein bisschen Himmel bringen auf die raue Erde. Und wie er noch überlegt, was er denn machen könnte, kommt ihm schon der Einfall. Eine Eingebung vielleicht. Direkt vom Himmel, das könnte ja sein. Und das Zimmer der Oma ist voll Musik. Wie im Himmel, so auf Erden. Die Oma weiß nicht, was sie sagen soll. Sie fühlt aber viel. Und weint vor kleinem Glück. Drückt die junge Hand und sagt Mein Junge. Endlich kann auch sie ein bisschen Liebe. Sogar auf der Erde.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.