Gelebte Versöhnung

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/12982

Transkript anzeigen

Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pfarrer Steffen Madloch

aus Stadt

Gelebte Versöhnung 08.10.2022

„Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!“ Diesen Satz hat Willy Brandt 1990 geprägt, angesichts der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland. Der ehemalige Bundeskanzler, Außenminister, Regierende Bürgermeister von Berlin und Friedensnobelpreisträger schaute da auf ein langes politisches Leben zurück. Seine Formulierung vom Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört, hat die Menschen berührt. Besonders all diejenigen, die die Trennung ebenso als gewaltsam und unnatürlich empfunden haben. In der Art, wie Willy Brandt seine Worte setzte, schwangen auch Geduld und Demut mit. Große Worte für große Fähigkeiten oder Gaben.

Es war ein langer Weg nach der Zerschlagung Nazideutschlands und der Teilung der deutschen Staaten bis zum Zusammenwachsen. 40 Jahre – eine biblische Zeitspanne.

Ohne einen Neuanfang nach dem Krieg wäre das Zusammenwachsen nicht möglich gewesen. Und dafür steht Willy Brandt. Sein Kniefall vor dem Mahnmal für die Helden des Warschauer Ghettos 1970 setzte ein bleibendes, ikonisch gewordenes Zeichen für die Zäsur, die notwendig war, um Entspannung und Versöhnung möglich werden zu lassen.

„Immer wieder bin ich gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt habe. Ob sie etwa geplant gewesen sei“, schreibt Willy Brandt in seinen Erinnerungen. Und er fährt fort: „Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“

Heute vor 30 Jahren, am 8. Oktober 1992, ist Willy Brandt verstorben.

Was für mich bleibt, ist vor allem die Erkenntnis, dass wir immer wieder neu anfangen können, wenn wir uns der persönlichen Schuld und dem eigenen Versagen stellen - und auch dem Versagen in unserer Geschichte. Und so ist es für mich an der Zeit, die Knie zu beugen vor der zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit auf dieser Welt, die Menschen zum Beispiel dazu bringt, sich unter Gefahr für Leib und Leben in kaputte Boote zu begeben, um vor Krieg, Hunger und Tod zu fliehen.

Eine bessere Welt ist möglich, wenn wir ernst machen mit dem Teilen und dem Abgeben. Und ich erahne, welche Kraft in dem Satz von Willy Brandt steckt, auch für mich, für uns heute - im Blick auf die eine gemeinsame Welt: Es soll zusammenwachsen, was zusammengehört.

Es gilt das gesprochene Wort.

Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

//rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/dradio/worte-zum-tage

https://www.facebook.com/deutschlandradio.evangelisch

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.