Was gut ist

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/12481

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Ulrike Greim

aus Weimar

Was gut ist25.02.2022

Sie hasste ihren Job. Wischen, putzen, Mülleimer leeren, schrubben, wischen, putzen… Was soll’s, es brachte ihr Geld. Die Treppenhäuser von den Stadthäusern hasste sie am meisten. Es war so umständlich mit dem Wischmob, die Kurven zu steil, und dass die Studenten immer kreuz und quer ihre Schuhe herumliegen lassen müssen - ihr ging das mächtig auf den Zeiger.

„Cold, cold heart“ singt Elton John gerade in ihr Ohr, sie hat die Stöpsel drin, damit es etwas erträglicher ist. Die Kollegin muss manchmal brüllen, damit sie reagiert. Kalte Herzen – das passt. Hier achtet doch keiner mehr auf keinen, schimpft sie in sich hinein. Alle huschen mit Mundschutz aneinander vorbei, keiner grüßt mehr.

Sie wischt Stufe für Stufe, Absatz für Absatz. Den Eimer mit dem ewig zu kalten Wischwasser hievt sie immer mit. Plötzlich rutscht sie aus, hört einen Schrei. Als sie wieder zu sich kommt, gestikuliert ihre Kollegin wild und bewegt die Lippen, es kommt nur kein Ton. Langsam wird es lauter, und sie hört, wie die Kollegin um Hilfe ruft. Sie selbst fühlt, dass sie wohl in der Ecke hängen muss. Irgendwas blutet. Spüren kann sie nichts.

Eine Tür geht auf. Eine Frau kommt und fragt besorgt, verschwindet wieder und taucht mit Taschentüchern, einem Kühl-Akku und einem Handtuch wieder auf. Und dann mit einem Glas Wasser. Auch ein Mann von oben kommt aus seiner Wohnung, und fragt, war er tun kann.

Sie hatte noch nie mitgekriegt, dass hinter den Türen, vor denen sie wischt, wirklich jemand wohnt. Dass da Hilfe sein kann. Sie kennt das Haus hauptsächlich mit verschlossenen Türen.

Jemand kommt und bringt eine Decke.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Die Türchen gehen auf und lauter liebe Menschen kommen raus. Sie sieht, wie sich deren Lippen bewegen, hören tut sie wieder nichts. Dann wird alles ganz leicht.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Manchmal kann sich das Leben drehen, von einer Sekunde auf die andere. So denkt sie, als sie Stunden später auf Station liegt, Hals in einer Krause, das Bein im Gips, einen dicken Verband am Handgelenk. Waren es die Hormone, die im Schock halt kommen, und ihr die Welt in schönsten Farben zeigen? Überall hilfsbereite, freundliche Menschen, offene Türen, alle packen mit an. Ist doch klar. Keine Ursache, wirklich nicht.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Der Freundin sagt sie abends am Telefon, dass das – so komisch es klingt – richtig schön war. Alle waren menschlich und nah. Ja. Eigentlich wissen wir ja alle, was gut ist. Kalte Herzen sind nicht die Grundausstattung, Herzen wollen warm sein. Lieben ist einfach.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Die Freundin empfiehlt ihr, sich auszuruhen. Es werde schon alles wieder normal.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Nee – bloß nicht.

Dass sich diese Türen öffnen können, findet sie ein kleines Wunder. Wie lange macht sie den Job? Zehn Jahre? Zwölf? Es ist gerade wie ein Adventskalender: Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

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