Erdaufgang

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/13318

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Domprediger Michael Kösling

aus Berlin

Erdaufgang 21.03.2023

Wir wissen es schon lange: Die Erde ist keine Scheibe und nicht der Mittelpunkt des Universums. Eher am Rand rast sie durch die kühle, lautlose Schwärze des Alls. Was das bedeutet, kapiert man erst, wenn man’s mit eigenen Augen sieht. Was die drei Astronauten sahen, nahm das Band auf: Okay, Houston. Der Mond ist im Wesentlichen grau, keine Farben. Sieht wie Gips aus oder wie gräulicher Strandsand. Die Krater sind alle abgerundet. Es gibt davon eine ganze Menge, manche sind neueren Datums. Viele von ihnen, besonders die runden, sehen aus, als ob sie von Meteoriten oder sonstigen Projektilen getroffen worden seien. Die Rückseite des Mondes, ungesehen, unbekannt und öde. Bei seiner vierten Umrundung des Mondes ließ der Kommandant von Apollo 8 das Raumschiff um seine Längsachse rotieren. Plötzlich erscheint die Erde im Seitenfenster. Auf dem Mitschnitt hört man, wie William „Bill“ Anders ausruft: Seht euch das an! Hier geht die Erde auf. Mann, ist das schön! Man kann hören, wie Anders seine Kameraden hektisch um einen Farbfilm bittet und diese ihn immer wieder fragen, ob der das Foto wirklich im Kasten hat: Bist du sicher, dass wir es jetzt haben? Mach einfach noch eins, Bill! Dieses Foto wird von der NASA unter dem Namen Earthrise veröffentlicht. Eine der bedeutendsten Aufnahmen der Menschheit. Erdaufgang. Ich habe es mir gekauft und ins Esszimmer gehängt. Jeden Morgen will ich die Erde aufgehen sehen. Gerade jetzt in diesen dunklen Zeiten, in denen Krieg ist in Europa, der uns aufzeigt, wie alles miteinander zusammenhängt: das Öl, das die Panzerkette schmiert mit der Flucht von Kindern, Frauen und Männern und dem Hunger in afrikanischen Ländern. Unser Wohlstand mit dem Ansteigen der Meeresspiegel und mit ausgezehrten Böden. Unsere Maßlosigkeit mit dem Verschwinden von Tierarten. Wir sind wie im Krieg, einem größeren, einem lautlosen, schleichenden mit der Schöpfung, die uns umgibt. Ihr haben wir Wunden geschlagen. Unsere Erde stirbt. Eine neue Erde? Ein neuer Himmel? Ist weit und breit nicht zu sehen auf dem Foto von Bill. Also: auf der schönen alten Erde den Fluss der Tränen trockenlegen. Gerechtigkeit und Frieden schaffen. Ich will die Erde aufgehen sehen. Unsere. Diese. Die eine, die wir haben. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe. Wie die Rückseite des Mondes. Und dann, „nach sieben Tagen“, sah Gott alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Oder mit den Worten von Bill Anders: Mann, ist das schön!

Es gilt das gesprochene Wort.

Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

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