Alle Soldaten woll‘n nach Haus
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/13340
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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrerin Kathrin Oxen
aus Berlin
Alle Soldaten woll‘n nach Haus 19.04.2023
Es war im Sommer 1990. Die Grenze, die durch Deutschland und Deutschland ging, gab es nicht mehr. Mit einer Jugendgruppe entdecken wir das für uns bis dahin unbekannte Land östlich davon. Eine Kanutour auf der mecklenburgischen Seenplatte, ein schönes, stilles Land noch wie träumend von der Freiheit. Selbst das winzigste Dorf hatte damals noch seine LPG und seinen Konsum, wo es nun aber auch Cola und Süßigkeiten aus dem Westen zu kaufen gab.
Wir waren eine christliche Jugendgruppe und hatten waghalsigerweise sogar eine Gitarre mit in die Kanus genommen. Im Kassettendeck des VW-Busses lief auf der Hinfahrt die neue Platte von Reinhard Mey. „Alle Soldaten woll‘n nach Haus“. Mindestens den Refrain konnten wir alle sofort mitsingen. Die Geduldigen unter uns hörten die Kassette ab und schrieben die Strophen auf. Am Ende konnten wir das ganze Lied auswendig. Die Gitarrenspieler suchten sich die Griffe zusammen, wir saßen am Lagerfeuer und sangen und dachten an Frank Kowalski, an Igor und Jochen M. und an Hinnerk Harms aus Leer, alle nur ein bisschen älter als wir. Und wie selbstverständlich es eigentlich war, dass sie nach Hause wollten, weil es die Grenze nicht mehr gab und den Kalten Krieg und die Sinnlosigkeit der Teilung sich aufgetan hatte, die Deutschland fast 30 Jahre beherrscht hatte. Die Sinnlosigkeit des Soldat-Seins, weil es den Krieg nicht mehr geben würde, von Reinhard Mey unnachahmlich in ein Lied gefasst.
„Alle Soldaten woll‘n nach Haus“. 1990 ist lange her. Wenn ich daran zurückdenke, denke ich an einen unvergesslichen Sommer, so schön wie die sanfte mecklenburgische Landschaft, süß wie Cola und Schokoriegel und friedlich, so friedlich. Der Krieg und das Soldatensein bloß noch ein Irrtum der Geschichte, von geradezu lächerlicher Sinnlosigkeit. Kaputte Panzer, gelangweilte Soldaten, Sehnsucht nach Liebe und Freiheit unter uns allen. Und jung, wie wir waren, das Vertrauen, dass wir dieses Lied immer würden singen können.
Mich schmerzt es heute, dieses Lied zu hören und die Hoffnung darin zu spüren, dass endlich, endlich alle ein für alle Mal verstanden haben werden, wie sinnlos alle Kriege sind. „Alle Soldaten woll‘n nach Haus“, damals, heute, immer, auch heute, nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine, alle, auf allen Seiten: Igor aus Tscheljabinsk mit seinem kaputten Panzer, Volodymyr aus Charkiw und die ungezählten anderen, deren Namen wir nicht kennen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)
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