Anmerkungen zu einer roten Linie

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/13523

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pfarrer Michael Becker

aus Kassel

Anmerkungen zu einer roten Linie 30.06.2023

Den Ausdruck „verstoßene“ Oma kannte ich bisher nicht. Rita, eine Bekannte, hat mir neulich davon erzählt. Sie selber ist Anfang sechzig und nennt sich eine „verstoßene“ Oma. Sie wohnte mit Tochter, Schwiegersohn und zwei Enkeln im gleichen Haus. Eines Tages begann es, in der Ehe ihrer Tochter zu kriseln. Und Oma Rita machte einen Fehler, sagt sie. Sie wollte schlichten, vermitteln, mit Tochter und Schwiegersohn sprechen. Also mischte sie sich ein, gab Ratschläge und meinte es gut damit. Das war aber schlecht, sagt sie heute. Das hätte ich nie machen dürfen. Als ihre Tochter dann auszog, bekam Oma Rita kurze Zeit später einen Brief von ihrer einen Enkelin: Liebe Oma, ich möchte nicht mehr mit dir reden und nicht mehr mit Dir spielen. Das war wie ein Schlag ins Gesicht, sagt Rita, die sich dann wie eine „verstoßene“ Oma fühlte. Zwei Jahre kein Wort, kein Bild, kein Kuscheln. Alle Briefe wurden zurückgeschickt. Das war die Hölle, sagt Oma Rita.

Das darf nicht sein, denke ich. Natürlich gibt es Krisen und Fehler. Auch Fehler, die man nicht machen will und trotzdem macht. Oft ist es keine Hilfe, sich in Ehefragen einzumischen. Aber bei dem Ganzen gibt es doch immer eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf. Und diese rote Linie heißt: Kinder. Kinder können nichts dafür. Eltern oder Großeltern dürfen Kinder niemals benutzen, um zu zeigen, wie mächtig sie sind. Niemand hat das Recht, Kinder unter dem leiden zu lassen, was man selber verschuldet hat.

Wehe denen, sagt Jesus (Matth.18,1-7), die Kinder benutzen für eigene Zwecke. Das ist die rote Linie. Die Rechte der Kinder dürfen nicht verletzt werden, um selber mächtig zu sein. Das gibt unnötige Tränen - der Kinder und der Eltern oder der „verstoßenen“ Großeltern. Oma Rita allerdings hat ihr tiefes Tal jetzt hinter sich, Gott sei Dank. Ihr letzter Brief an die Enkelin kam nicht zurück. Im Gegenteil. Die Enkelin hat selber eine kleine Karte an die Oma geschrieben und gefragt: Wollen wir uns mal sehen? Jaaaa, hat Oma Rita in ihrer Wohnung so laut wie möglich vor sich hin gerufen; ja natürlich. So gerne!

Es gilt das gesprochene Wort.

Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

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