Etwas Geld

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/13664

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Evamaria Bohle

aus Berlin

Etwas Geld 25.07.2023

U 8. Bernauer Straße. Richtung Alexanderplatz. Es sind nur wenige Fahrgäste. Eine wirkt fehl am Platz. Wie reinkopiert. Das muss einem in Berlin erstmal gelingen. Eine schmale Silhouette in unförmiger Jacke. Weiblich. Sie steht etwas länger als andere Fahrgäste und etwas zu unentschlossen im Türbereich. Gerade so viel zu lang, dass ich aufmerksam werde, am anderen Ende des Wagens.

Die Bahn fährt an, das Menschenkind schwankt ein wenig, die Schultern wissen nicht, wohin. Dann ein schmales Stimmchen, als klammerten sich die Worte in ihrer Kehle fest: „Haben Sie etwas Geld?“ Der schmuddelige Pappbecher schämt sich in ihrer Hand. Oder schäme ich mich? Und wenn ja – wofür?

Wer in Berlin mit den Öffentlichen unterwegs ist, erlebt mehrmals täglich Situationen wie diese. Man bekommt ein zuweilen erschreckend dickes Fell. - Sie hat das noch nicht oft gemacht, denke ich, schaue aus dem Fenster, beobachte sie aus dem Augenwinkel. Sie wartet. Der nächste Halt.  Keiner steigt ein oder aus. Der Zug fährt wieder an. Wieder bewegt sie unbehaglich die Schultern. Diesmal ist die Stimme etwas lauter: „Hat hier jemand etwas Geld. Bitte. Ich habe nämlich keins.“

Ich taste nach dem Portemonnaie, suche nach dem obligaten Euro, entscheide mich um, nehme diesmal einen kleinen Schein. Warum? Es fühlt sich wie freikaufen an.

Sie steht immer noch unschlüssig am anderen Ende des Ganges. Ich nicke ihr zu. Unsicher kommt sie auf mich zu. Mit jedem Schritt näher wächst meine Beklommenheit. Sie wird immer jünger. Anfang zwanzig? Wenn überhaupt. Strähniges ungekämmtes Haar. Halblang. Ein zartes grau verschmiertes Gesicht balanciert über dem viel zu großen Mantel. „Mein Gott“, denke ich. Und: „Ich muss doch den Zug bekommen.“

Sie bleibt stehen, sieht mich an aus blassen Augen. Ich reiche ihr den gefalteten Schein, möchte ihn eigentlich rasch in ihrem Pappbecher versenken. Aber das gelingt nicht, denn sie greift mit der anderen Hand nach dem Geld und hält es ganz fest in der Faust. Ihr Blick schwimmt über mein Gesicht, bleibt bei dem Schein in ihrer Hand. Sie lächelt und aus dem linken Nasenloch löst sich ein zäher Tropfen. So nah ist sie mir. Lieber Gott, wir schauen einander an. Wie hilflos ich mich fühle. - Am Alexanderplatz steige ich aus.

Es gilt das gesprochene Wort.

Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

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