„Ick kann det Tempo nich vertragen“

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/13733

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pfarrer Jörg Machel

aus Berlin

„Ick kann det Tempo nich vertragen“ 30.12.2023

Die ersten Weihnachtsbäume stehen schon wieder auf dem Gehweg. Ist es die Angst, dass sie zu nadeln beginnen? Ist es der anstehende Skiurlaub, vor dem man die Wohnung in Ordnung bringen will? Oder ist es das Gefühl: Nun ist alles vorbei. Das war es nun mit Weihnachten? Nachvollziehbar wäre es. Nachdem die Lebkuchen, der Spekulatius und sogar die Weihnachtsmänner bereits Ende September in den Geschäften Einzug gehalten haben, muss nun schleunigst umdekoriert werden.

Ich bin noch lange nicht so weit. Bei mir klingt Weihnachten noch eine ganze Weile nach. Ich blättere in den Büchern, die für mich noch immer unter dem Weihnachtsbaum liegen. Und ich höre mit Begeisterung eine alte Plattenaufnahme von Otto Reutter. Dem geht alles viel zu schnell – und das schon vor hundert Jahren:

„Mit Zeitung'n füttert man uns satt. / Bevor man een Blatt ausgelesen, / Kommt's zweete schon, da is man platt - / Und eh man det gelesen hat, / Da widerruft schons vierte Blatt / Wat in dem dritten dringewesen. / Ick lese gar keen Exemplar, / Kooft mir 'n Kalender vor 'n paar Tagen - / Der langt mir gleich fürs ganze Jahr - / Ick kann det Tempo nich vertragen!“

Viele reden von Entschleunigung, wenigen gelingt sie. Den Takt unseres Lebens bestimmen wir ja selten allein. Meist wird er uns diktiert durch Fahrpläne, Dienstzeiten, Abgabefristen. Darüber zu jammern ist müßig, daran werden wir wenig ändern. Aber wir können uns dagegen sperren, diese Taktung auch noch auf den Rest unseres Lebens auszudehnen.

Und dabei ist der christliche Kalender für mich hilfreich. Er ist ja trotz aller Entkirchlichung immer auch noch ein kultureller Kalender. Man muss kein Christ sein, um ihn sich in je eigener Weise anzueignen. Selbst meine muslimischen Freunde haben den Familienbezug des Weihnachtsfestes für sich adaptiert. So wie ja auch die Fastenzeit vor Ostern ganz unreligiöse Menschen animiert, sich von überflüssigem Ballast zu befreien, ohne dabei gleich die Leidenszeit Christi und den Karfreitag vor Augen zu haben.

Ich finde: Es liegt an mir selbst, ob die Weihnachtszeit mit ihrer ganz speziellen Stimmung und ihren guten Ritualen jetzt schon zuende ist und ob ich zulasse, dass mich der Alltag wieder in den Griff nimmt. Oder ob die Lichter am Baum noch ein paar Tage glänzen. Bis die Heiligen Drei Könige am 6.Januar kommen, ist auf jeden Fall noch Zeit.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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