Stunden der Wahrheit
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/14024
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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrer Michael Becker
aus Kassel
Stunden der Wahrheit 07.02.2024
Sie ist jung. Und will arbeiten, Geld verdienen in Berlin 1945. Außerdem hat sie Angst, als junge Frau den Russen in die Hände zu fallen. Zwei wichtige Gründe, um auf eine besondere Idee zu kommen. Die junge Frau, die Angst hat und Geld verdienen will, zieht sich Männerkleider an. Und geht dahin, wo es Arbeit gibt. Da ist aber noch eine Hürde. Sie muss vorher zu einem deutschen Arzt. Der soll feststellen, ob sie gesund ist und keine Belastung. So steht die junge Frau in Männerkleidern vor dem Arzt, als der sagt: Machen Sie bitte Ihren Oberkörper frei. Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Die Frau zögert. Der Arzt wiederholt sich: Machen Sie bitte den Oberkörper frei. Auch der Arzt ist seltsam unsicher. Sieht etwas verlegen zum Fenster hinaus. Vielleicht ahnt er etwas. So stehen sie da, viele lange Sekunden. Dann, plötzlich, reißt sich die junge Frau Jacke und Hemd vom Körper und steht da. Sie weint. Der Arzt hat weit offene Augen. Erst schweigt er. Und sagt dann: Gott steh‘ Ihnen bei; wenn das die Russen das sehen! Die Frau hat sich wieder gefasst, schaut dem Arzt in die Augen und sagt: Gott ist nicht hier. Aber Sie sind hier. Langsam zieht sie sich an. Der Arzt unterschreibt einen Zettel. Die junge Frau ist gesund und kann arbeiten. (1)
Manchmal müssen wir Gott sein. Jedenfalls ein wenig. Es gibt Augenblicke, da haben wir zu entscheiden. Entscheiden im Sinne Gottes. Was ist jetzt nötig? Was soll ich tun? Wie kann ich helfen? Das sind Stunden der Wahrheit. Oft haben sie mit Liebe zu tun. Mit Fürsorge, die ich gebe oder bekomme. Dann hilft vielleicht noch ein Seufzer und ein kurzes Gebet. Aber zuletzt muss ich entscheiden: Wie helfe ich am besten? Welche Art Liebe ist nötig? Vielleicht eine strenge, bittere? Das kann auch mal weh tun, mir und anderen. Dann ist man kein strahlender Held oder Heldin. Aber man tut das Nötige. Der Arzt hat plötzlich erkannt: Um der Frau zu helfen, muss ich die Regel brechen. Ich muss der Liebe mehr gehorchen als den Gesetzen, spürt der Arzt. Dann soll Gottes Liebe auch leuchten.
Es gilt das gesprochene Wort.
Anmerkung:
(1) Szene aus dem Film „Hilde“ (2009), mit Heike Makatsch.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)
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