G'tt treten

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/14213

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Evamaria Bohle

aus Berlin

G’tt treten 11.04.2024

Es gibt einen neuen knallroten Fürbittbriefkasten am Tor des evangelischen Stadtklosters mitten in Berlin. Fast das gleiche Modell wie der Vorgänger: wetterfest, aus Metall. Man braucht einen kleinen Schlüssel, um ihn zu öffnen. Der alte wurde vor kurzem eingetreten. An einem Sonntagvormittag: die Tür eingedrückt, das Gehäuse verbogen. Das Schild mit „Hallo, lieber Gott…“ konnte man noch gut lesen. Für einige Zeit hat der alte Kasten auch in diesem stark verbeulten Zustand seinen Dienst getan. Menschen haben ihre Anliegen eingeworfen.

Seit 2020, seit Corona-Zeiten, lädt der rote Briefkasten am Tor vom Stadtkloster in Berlin-Prenzlauer Berg Vorübergehende dazu ein, ihre Gebetsanliegen da zu lassen. Neben dem Briefkasten hängen an einem Brett Zettelblock und Stift. Wer will, schreibt spontan Gedanken, Wünsche, Sorgen auf und wirft sie ein. Neben dem Briefkasten hängt der Hinweis: „Im Stadtkloster wird täglich gebetet. Wir beten gerne auch für Ihre Anliegen.“ Während der Pandemie waren es sehr viele, die sich auf diese Weise bei Gott zu Wort gemeldet haben. Immer noch vergeht keine Woche ohne Botschaften. Jede Nachricht kommt an.

Jeder Zettel ist anders, jeder erzählt eine Geschichte: Ob ungelenk oder schwungvoll, immer war da eine Hand mit einem Stift. Kinderzeichnungen gab es auch schon. Jeder Zettel ist wie ein Zipfel zum Gewebe eines Menschenlebens. Es kommen Sorgen an und Bitten, Verzweiflung, Ratlosigkeit, Zorn, Erschöpfung, Einsamkeit und immer, immer wieder sehr viel Liebe für andere Menschen. Für die alten Eltern in der Ferne, für eine kranke Freundin, für das Enkelkind mit dem Drogenproblem, für den arbeitslosen Bruder, für die Großmutter vor der OP, für Menschen in Krisengebieten.

Menschen bitten um eine Wohnung, einen Job, eine Liebe, um Versöhnung, um Klarheit für den nächsten Schritt. Sie bitten für die politisch Verantwortlichen, für die Opfer von Gewalt, für die Bewahrung der Schöpfung, sie bitten um Frieden… Jeder Zettel ein Knotenpunkt in dem kostbaren Netzwerk Leben, in dem alle miteinander verbunden sind.

Das evangelische Stadtkloster in Berlin hat auch einen online Gebets-Briefkasten auf seiner Webseite. Ob übers Netz geschickt oder in den Briefkasten an der Straße geworfen, die „Hallo, Gott…“-Gebete kommen an. Niemand muss eine Kirche betreten oder einen getauften Glauben haben. Online oder am Bürgersteig lädt der rote Kasten leise in eine andere Wirklichkeit ein. Er öffnet den vorbei hastenden oder flanierenden Weltanschauungen und Rationalitäten die Möglichkeit einer wenig vertrauten Sprache des Denkens. Sagt: „Gott ist da, auch für dich.“ Ist ein diskreter Wegweiser zu einer kühnen Art zu hoffen. Zeigt an, dass es noch etwas zu tun gibt, wenn nichts mehr getan werden kann. Wenn „mein Latein“ am Ende ist, wenn die Hände schmerzhaft leer und nutzlos sind. Und das sind sie in diesen Tagen doch so oft. Drei Worte nur: Ukraine, Gaza, Israel. Oder auch: Friede auf Erden.

Nun hatte jemand den Fürbittbriefkasten demoliert. Mich hat dieser Tritt beschäftigt, den der Briefkasten abbekommen hat. Und der Mensch, der getreten hat. Man braucht Standfestigkeit und Kraft, auch Gelenkigkeit, um den Kasten zu treffen. Das gelingt nicht im Vorbeigehen. Es braucht den Willen zum Tritt. Oder war es doch ein Faustschlag?

Was muss in einem Menschen vorgegangen sein, bis er meint, dass nur noch Zerstören hilft? Wenn die Hände nicht nur leer sind, sondern sich zu Fäusten ballen. Wieviel überwältigende Emotion braucht es? Wieviel Verzweiflung, Ratlosigkeit, Schmerz, Wut? Vielleicht braucht es Alkohol im Blut, Drogen? Was brüllte da in diesem Menschen an diesem Morgen, für das es keine Worte gab? Wem galt der Tritt in den Fürbittbriefkasten eigentlich? „Hallo, Gott…“ Etwas in mir schlägt vor, auch diesen Tritt als Gebet zu lesen. Ich nehme ihn mit in mein Gebet.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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