Lassen

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/14314

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pastorin Susanne Richter

aus Hamburg

Lassen 21.06.2024

„Weniger ist mehr“ ist so eine Parole, die ich manchmal raushaue, ohne mir deren weitreichenden Konsequenzen bewusst zu machen. Mein Mann hat mich deshalb vor Kurzem ausgelacht: Für mich würde doch eher „Mehr ist mehr“ oder „Der Hals ist noch lange nicht voll“ gelten.

Bisschen gemein von ihm. Aber was Wahres ist dran. Ich bin mehr so der Typ: Wenn du schon an der Espressomaschine stehst, mach mir doch gleich zwei Caffè Latte. Der Pulli ist im Angebot? Dann kaufe ich das Modell in verschiedenen Farben.

Rein rational leuchtet mir „Weniger ist mehr“ völlig ein. Zum Beispiel bei der Wohnungseinrichtung: Wenn man alles vollstopft mit Sachen, kann jedes Einzelstück noch so ästhetisch sein. Es kommt nicht zur Geltung. Trotzdem habe ich ein Problem mit dem Weniger, dem Verzicht, dem Lassen.

„Es ist auch eine Frage des Loslassens“, hat neulich eine Aufräumtherapeutin zu mir gesagt, die ich interviewt habe. „Ich schöpfe eben gerne aus dem Vollen“, habe ich versucht, meine Vorliebe zum Mehr zu rechtfertigen.

Ein Gutes hat meine Schwäche: Ich habe Mitgefühl mit gierigen Menschen. Ich zähle mich ja selbst dazu. Im letzten Herbst haben zwei ältere Damen unseren ganzen Walnussbaum im Vorgarten abgeerntet. Naschen ist erlaubt gewesen, aber gleich alles mitnehmen? Nach kurzer Irritation habe ich sie verstehen können: Wer sich nicht satt fühlt, muss hamstern. Nach dieser Erkenntnis hätte ich sie gerne auch noch zum Kuchen eingeladen, aber da waren sie schon weg.

Interessant finde ich, wie viel Gesichter Gier haben kann. Ich meine ja, dass auch meine übervollen To-Do-Listen etwas damit zu tun haben. Mein ständiger Versuch, Keller aufräumen, liegengebliebene Büroarbeit, Theaterbesuch, Sport und Familientreffen in ein Wochenende zu packen. Ich will auf nichts verzichten und nichts verpassen.

Dass man Gier einfach loslassen kann, das bezweifle ich. Das sitzt zu tief. Ob Walnüsse oder Freizeitdruck. Die innere Logik nach Mangelerfahrung sagt dir: Sorge vor, nimm alles mit, schaffe dir eine Reserve, lege Vorräte an.

In der Bibel gibt es die Geschichte eines Bauern, der seine Scheunen vollstopft und stirbt, bevor er seine Ernte überhaupt verwerten kann. Ich mag den moralischen Unterton bei den meisten Auslegungen dieser Erzählung nicht. Ja, die Superreichen sollen bitte abgeben. Und ja, das letzte Hemd hat keine Taschen. Geholfen haben mir solche Appelle aber noch nie.

Was ich dagegen bedenkenswert finde, ist ein „Genuss-Ansatz“ gegen Gier. Nicht gegen das Hamstern ankämpfen, sondern die Haben-Seite ganz bewusst genießen. Bei einem Achtsamkeitskurs haben wir in einer Gruppe ein tolles Buffett verkostet. Vermutlich ist es gar nicht so exquisit gewesen, aber wir haben es bewusst gegessen. Ich wusste gar nicht, wie lecker Rote Bete sein können. Ich habe mich rundum gut genährt und versorgt gefühlt. Ich wollte nicht mehr. Ich war vollständig zufrieden und glücklich mit dem, was ich hatte.

Mit den überfüllten Wochenenden scheint es ähnlich zu sein. Da geht es auch um die Frage: Vollstopfen oder auskosten? Und um eine Entscheidung: Was macht mich wirklich satt? Was möchte ich ausprobieren? Es braucht eine gute Portion Vertrauen, um sich aufs Lassen einzulassen. Ich muss mich darauf verlassen: Es wird reichen.

Jesus sagt in der Bergpredigt: Seht die Lilien auf dem Feld! Sie sorgen nicht vor und sind doch bestens von Gott versorgt und das in ganzer Pracht. (Matthäus 6) Ich habe dabei früher manchmal sorgenvoll an trockene Böden gedacht. Aber die Pflanzen haben tiefe Wurzeln. Wer sagt denn, dass die Blümchen da nicht quietschvergnügt aus dem Vollen schöpfen?

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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