Ein Traum von Gott

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/14202

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Evamaria Bohle

aus Berlin

Ein Traum von Gott 15.06.2024

Jurek träumt. G’tt weiß wovon. Er hat seinen Schlafplatz immer an der Hauswand. Dort ist es geschützt. Unter der Pergola des Restaurants in der Nachbarschaft. Morgens haste ich an ihm vorbei auf dem Weg zur Straßenbahn. Da schläft er noch, das Gesicht im Schlafsack verborgen. Er schläft gerne länger. Viel mehr weiß ich nicht von ihm. Ich bin ungeschickt mit obdachlosen Nachbarn.

Ulrike, eine Nachbarin - sie ist weniger scheu - hat ihn neulich gefragt, ob er etwas braucht. Nein, sagt er, alles gut. Gerade habe ihm jemand einen Kaffee vorbeigebracht und ein Croissant; er zeigt lächelnd den leeren Becher. Unter ihm bringt die U-Bahn in regelmäßigen Abständen das Trottoir zum Erbeben. Nebenan kostet der Milchkaffee 5 Euro, das Gebäck lockt mit Safran und der Tee schmeckt „umami“.

Jurek träumt. G’tt weiß wovon. Wahrscheinlich nicht von Himmelsleitern oder Engeln. Oder doch? G’tt hat jedenfalls bestimmt eine Schwäche für ihn, glaube ich. Wie für Jakob in der Bibel, der auch auf dem Boden schlief und träumte. Jakob, der Lügner und Betrüger. Komplizierte Geschichte, nachzulesen im ersten Buch im „Buch der Bücher“. Der biblische Jakob rastet unter freiem Himmel. Ausgesetzt. Sich aussetzt. Mit einem Stein neben oder unter seinem Kopf. Befremdlich? Warum eigentlich. Ich jedenfalls schlafe manchmal mit einem Stein neben oder unter dem Kopf. Metaphorisch wenigstens.

Jakob träumt also, und der Himmel ist offen, und er sieht im Traum eine Leiter, die Erde und Himmel verbindet. Die Engel G’ttes steigen daran auf und nieder. Dunkelheit, Sternenzelt, Schattengeräusche. Als Jakob die Augen öffnet, weiß er: G’tt ist da gewesen. In seinem Herzen, in seiner Wildnis, mit seinem Trost.

„Die Welt ist Gottes so voll“, schreibt Jahrtausende später der Jesuit Alfred Delp, 1944 zum Tode verurteilt. „Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind.“ Jakob in der Bibel nickt und sagt: „Hier ist das Tor zum Himmel, und ich wusste es nicht.“ Sie lächeln einander an.

Jurek auf der Straße träumt. Jakob in der Bibel träumt. Wir alle träumen, und Gott erscheint mit seinem Trost in unseren Träumen, in unserer Wildnis, an der Hauswand, unter der Pergola. Die Tür zum Himmel öffnet sich, wo unsere Ängste obdachlos werden. Und vielleicht sagt man dann: „Ich habe alles, was ich brauche.“ Und kauft für Jurek einen Kaffee.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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