Fremde Welten
Shownotes
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Silke Niemeyer
aus Münster
Fremde Welten 07.11.2024
„In welcher Welt leben Sie eigentlich?“, beginnt die E-Mail. Was die Frau schreibt, ist bitter, aber ihr Leben ist ja auch bitter.
„In welcher Welt leben Sie eigentlich?“, fragt sie mich und erzählt dann von ihrer Welt. Dass sie alleinerziehend ist und jeden Cent zweimal umdrehen muss. Zwei Drittel von dem, was sie verdient, gehen für die Miete drauf. Ich ahne: nicht für eine luxuriöse Altbauwohnung. Um sie herum wohnen muslimische Familien. Wenn sie grillen, und das tun sie gern und oft, ziehen die Schwaden zu ihr rüber. Und mit ihnen das laute Reden und das laute Lachen. Manche Nachbarinnen sind komplett verschleiert. Sie findet keinen Kontakt zu ihnen. Und die anderen suchen ihn auch nicht zu ihr.
Ein eigenes Auto? Kein Gedanke daran. Sie fährt mit Öffis. Sie kann Geschichten erzählen, von jungen Männern, breitbeinig und voller Testosteron, vor denen sie Angst hat, wenn sie allein am Bahnhof unterwegs ist. Und noch mehr fürchtet sie um ihre Tochter, die schon bedrängt wurde. Sie will so nicht leben, fremd und einsam im eigenen Haus, im eigenen Viertel. Aber sie hat keine Wahl.
Sie hat so recht, dass es sticht. Das ist nicht die behagliche Welt, in der ich lebe. Dabei ist eine von diesen anderen Welten, in denen die Frau wohnt, gar nicht weit von mir entfernt, nur einen Katzensprung. Jede Stadt, auch fast jede Kleinstadt, hat Viertel, wo die Mieten billig sind und die Wohnblocks anonym, wo Menschen aus vieler Herren Länder wohnen, wo Schrottautos rumstehen und wilder Sperrmüll an der Straßenecke liegt. Was die Menschen hier verbindet, ist eines: die Armut. Aber die verbindet eben oft nicht. Armut spaltet. Armut stresst.
Was soll ich ihr antworten? Soll ich darüber schlaumeiern, wie der soziale Wohnungsbau auf den Hund gebracht wurde? Dass unsere Gesellschaft Zuwanderung braucht, damit die Alten gepflegt, die Lebensmittel verarbeitet, die Straßen repariert, der Müll abgeholt wird? Soll ich von der afghanischen Familie erzählen? Wie glücklich sie ist, wie die Kinder aufblühen, seit die Familie endlich aus der furchtbaren Massenunterkunft in so eine Wohnung ziehen durfte?
Das ist alles, alles richtig. Und doch komplett falsch, merke ich.
Es hilft nichts gegen die Fremdheit, die Furcht, das Unbehagen, die die Frau täglich spürt. Sowas erklärt man nicht weg, vor allem nicht, wenn man selbst in einer anderen Welt lebt. Und schon gar nichts nützen Ratschläge wie der: „Suchen Sie doch einfach mal den Kontakt.“
Dennoch bin ich überzeugt: Es geht nur, indem man sich begegnet und miteinander redet, und sei es mit Händen und Füßen. Es geht nur, indem man zusammen was tut. Das meine ich nicht moralisch, sondern weil es so ist. Aber sich begegnen statt aneinander vorbeizulaufen, das passiert meist nicht von allein, selbst wenn man Tür an Tür lebt. Dazu sind Türöffner nötig.
„ConneKt“ heißt so ein Türöffner. Hinter ConneKt verbirgt sich eine Fülle von Treffpunkten für Groß und Klein, Einheimisch und Zugewandert, bei denen Menschen zusammen etwas unternehmen, organisieren, erkunden, erleben, Gottesdienst feiern und, ja, auch grillen. Die evangelische Kirchengemeinde in Bad Oeynhausen legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf. Warum? Die Gemeinde sagt: Weil es dazu keine Alternative für uns gibt in dieser Stadt, in der seit vielen Jahren internationale Arbeitskräfte leben. Wenn wir Gemeinde sein wollen, können wir hier nur eine internationale Gemeinde sein.
Das ist ein Beispiel von vielen. Bitte mehr davon! Solche Aufbrüche sind wichtiger denn je. Nachbarn können anstrengend sein, wenn sie so anders sind, wenn sie aus Kabul kommen, auch, wenn sie aus Castrop-Rauxel oder Kassel kommen. Eines jedenfalls weiß auch ich in meiner Welt: Es lebt sich leichter mit ihnen, wenn man schon mal mit dem einen und der anderen zusammen gelacht hat.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)
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