Trost der Schönheit
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/morgenandacht-23112024-14376
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Annette Bassler
aus Mainz
Trost der Schönheit 23.11.2024
„Von wegen abgeklärt und in sich ruhend! Je älter man wird, desto dünnhäutiger wird man, desto durchlässiger die Seelenhaut!“, meint die Journalistin Gabriele von Arnim. Sie gehört wie ich zu den Frauen, die sich sehr bewusst an die Zeit des Wiederaufbaus, der Auseinandersetzung mit der Nazigeschichte und der beginnenden Freundschaft mit Frankreich und Amerika erinnern. Und die nicht fassen können, dass überall in der Politik dieselben Fehler wie früher gemacht werden.
Auch ich hätte nie gedacht, dass in unseren Parlamenten wieder Vertreter und Vertreterinnen sitzen, die sich Gedanken und Sprache bei den Nazis leihen. Dass eine klare Mehrheit der US-Amerikaner einen Mann zum Präsidenten gewählt hat, der aushebeln will, wofür ich dieses Land so wertgeschätzt habe: Demokratie, Checks and Balances, also die Kontrolle von Macht, Menschenrechte. Dass das dringend benötigte Geld global nicht zur Bekämpfung des Klimawandels und des Hungers verwendet wird, sondern verfeuert und verbrannt wird in den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten. All das macht fassungslos.
Wie damit umgehen? Gerade als älterer Mensch, mit durchlässiger Seelenhaut und nachlassender Spannkraft? Gabriele von Arnim hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Trost der Schönheit“. Ihre Antwort lautet: Die Ohnmacht, die einen bei jeder Nachrichtensendung beschleicht, sie ist angemessen. Wir sollten es aushalten. Aber doch so, dass dieses Weltgeschehen sich nicht über unsere Seele stülpt und uns die Energie raubt. Wir können dafür sorgen, dass unsere innere Welt und die äußere Welt in der Balance bleiben.
Und das geht durch kleine, feine Fluchten. In die Welt der Schönheit. Denn Schönheit tröstet. Und sie schenkt Kraft. Immer wenn es hässlich wird, dann können wir uns durch etwas Schönes wieder in die Balance bringen.
Also erlaube ich mir kleine Fluchten auf Zeit. Ganz bewusst. Ich mache mich auf den Weg und suche Schönheit. Suche den Goldglanz im Alltagsgrau, suche nach Orten, die meiner Seele Flügel verleihen, und Menschen, deren Nähe mich wärmt.
„Suchet, und ihr werdet finden!“, hat Jesus gesagt. Also ich muss nur vor die Tür, in den Garten. Wenn jetzt im November der Nebel auf den kahlen Ästen liegt und am Morgen glitzernde Perlen in ein Spinnennetz zaubert. Das ist wunderschön.
Eine kleine Flucht ist für mich, wenn mir die Bäckersfrau am Samstag die Brötchen reicht und einen schönen Sonntag wünscht. Klar, dieser Wunsch ist professionell, gehört zu ihrem Job. Aber spätestens, wenn ich ihr freundlich ins Gesicht schaue und ihren Wunsch erwidere, verwandelt sich die professionelle Höflichkeit in eine kleine, feine Begegnung.
Ich freue mich an schönen Menschen. Und damit meine ich nicht die, die gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Sondern die, die schön werden, wenn sie anfangen zu reden. Es gibt auch den umgekehrten Effekt. In der Politik zum Beispiel Menschen, die auf den ersten Blick gut aussehen. Aber wenn sie anfangen zu reden, verändert sich das Gesicht. Man kann den Hass sehen, der sie antreibt, und die Verachtung für bestimmte Menschen. Dem setze ich mich nicht allzu lange aus. Eine kleine Flucht zu denen, die lieben, was sie tun, bringt mich wieder in die Balance.
Morgen ist nach evangelischer Tradition der Totensonntag. Da werden im Gottesdienst die Namen der Menschen vorgelesen, die in diesem Jahr verstorben sind. Man kann sich in die Sprache der Liturgie hineinfallen lassen und in den Gesang der Gemeinde. Auch wenn einem nicht alles vertraut ist, liegt darin ein Trost der Schönheit. Vor Gott treten mit anderen, die dasselbe tun. Einfach da sein, ohne etwas beweisen oder darstellen zu müssen, das ist heilsam für eine angerauhte Seelenhaut.
Schönheit ist überall. Wenn ich sie suche, finde ich darin die Kraft, wieder der Welt, wie sie nun mal ist, standzuhalten. Und zu kämpfen für die Generation nach uns.
Es gilt das gesprochene Wort.
Literatur zur Sendung:
Gabriele von Arnim, Trost der Schönheit, Rowohlt 2023
Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)
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