Aufbruchsstimmung im Spätherbst

Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pastor Friedemann Magaard

aus Husum

Aufbruchsstimmung im Spätherbst 27.11.2024

„Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ Dieser Choral hat jetzt in den letzten Novembertagen seinen festen Platz in den Kirchen. Johann Sebastian Bach hat das Lied vierstimmig gesetzt. In einer festlichen Kantate nehmen Chor, Solisten und kleines Orchester den Grundton auf: Die Wachsamkeit, das Gewahrsein: Jetzt bricht eine neue Zeit an. Das Alte zerfällt. Wer nicht wachsam ist, verpasst die Wende. Wer zu spät kommt, wird vom Leben bestraft. Eine gewaltige Musik.

Die Lyrikerin Carola Moosbach hat Gedichte zu den Bach’schen Kantaten geschrieben. Sie antwortet auf die Klänge und Worte der alten Zeit mit eigenen Worten, die sich an die Weisheit der alten hängen. Das Gedicht, das Carola Moosbach zu „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ gedichtet hat, trägt den Titel „Aufklarung“.

Aufklarung

Das Ende der Sicherheit

Kann auch ein Aufbruch sein

Der Glaube wird klar und weit

Kein kitschrosa Märchenkleid

Was da klar wird, ist zunächst eine Irritation. Das Ende der Sicherheit? Niemand sehnt sich danach. Oder doch? Wer bisher ohne Sicherheit auskommen musste, mag Morgenluft wittern.

Dann machen die Zermürbten plötzlich den Mund auf

Sie hören die Zeichen als Erste

Die auf der Überholspur nehmen den Fuß vom Gas

Selbst sie merken etwas

Die Spekulanten lassen jede Gewinnerfahrung fahren

Leben ist mehr als Geld

Dann knirscht das Riesenrad überall Sand im Getriebe

Sehnsucht in allen Farben.

Wenn das Spiel durcheinandergerät, werden alle Plätze neu besetzt. Die Schnellen, Lauten, die Gewinnertypen, sie lassen sich irritieren. Sie lernen, die Zeichen zu lesen. Langsam korrigieren sie den bisherigen Weg. Die zuvor die Verlierer waren, verstehen als erste. Sie machen den Mund auf. Sie erkennen und bekennen. Sie handeln. Ihr Neuanfang steht für die Hoffnung: Sehnsucht in allen Farben.

Alle sind eingeladen

Die es ehrlich meinen

Gott wird in uns aufscheinen

Nicht nur vom Hörensagen

Der Weckruf klingt für alle. Der Neuanfang: Niemand ist ausgeschlossen. Nur: Hören muss man. Verstehen. Deuten. Und ehrlich neu beginnen. Das Ende der Sicherheit kann eine Katastrophe sein für diejenigen, die weiterwollen wie bisher. Das Ende der Sicherheit kann auch ein Aufbruch sein. Klar und weit der Glaube. Von allem freigelegt, was den klaren Blick ablenkt. Sand im Getriebe der stets fehlerfrei funktionierenden Welt. „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ Denn Leben ist mehr als Geld. Sehnsucht in allen Farben.

Es gilt das gesprochene Wort.

Literatur zur Sendung:

(1) Carola Moosbach: Bereitet die Wege. Poetische Kommentare zu Bachs geistlichen Kantaten. 2012, Strube Verlag München.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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