Jugend ohne Gott
Shownotes
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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrerin Kathrin Oxen
aus Berlin
Jugend ohne Gott 09.12.2024
„Jugend ohne Gott“ von einem Schriftsteller mit einem schwer auszusprechenden Namen: Ödön von Horváth. Ich weiß nicht mehr, wer mir das Buch geschenkt hat. Nur dass es zu meiner Konfirmation war. Ich fand das damals etwas ironisch. Schließlich hatte ich ja schon durch die Konfirmation bewiesen, dass ich durchaus an einer Jugend mit Gott interessiert war.
Ich fand aber schnell heraus, dass das Buch sehr gut ist. Es behandelt das Thema Nationalsozialismus, aber anders als die vielen Sachbücher und Zeitzeugenberichte über diese Zeit, die ich sonst las. Mit diesem Buch, am Beispiel eines Schülers, nur wenig älter als ich, verstand ich zum ersten Mal, was die nationalsozialistische Ideologie aus den Menschen machte, die ihr anhingen. Oder besser gesagt: Ich verstand es nicht nur. Ich konnte es fühlen. Von kalten Zeiten war die Rede, in denen „die Seele des Menschen unbeweglich wie das Antlitz eines Fisches“ wird. Ödön von Horváth beschreibt die kalten Fischaugen des Schülers T. Eine Kälte bis ins Herz. Sie war schon bei Jugendlichen zu finden. Und machte möglich, was im Dritten Reich geschehen ist.
Ödön von Horváth wurde heute, am 9. Dezember 1901 geboren. Er wuchs in Budapest, Wien und München auf, in einer Zeit, in der Grenzen im damaligen österreich-ungarischen Reich keine große Rolle spielten. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland zog Horváth zurück nach Wien. Von dort emigrierte er 1938 nach dem Anschluss Österreichs nach Paris. Wenige Tage nach seiner Ankunft starb er einen absurden Tod: Auf den Champs-Élysées erschlug ihn ein herabfallender Ast. Er kam gerade von einer Besprechung über die Verfilmung von „Jugend ohne Gott“.
„Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur“, hat Ödön von Horváth einmal gemeint. Was dann alles noch nach 1938 in Deutschland und Europa geschehen ist, hat er nicht mehr miterlebt. Aber gewusst hat er es schon, als er „Jugend ohne Gott“ schrieb: Menschen können so werden, wie Fische aussehen, kalt und unbeweglich. Ohne Mitleid im Herzen. Und dann setzt sich Menschenfeindlichkeit durch statt Nächstenliebe. Anders als viele meiner jugendlichen oder gar Schul-Lektüren habe ich dieses schmale grüne Taschenbuch nie aus meinem Bücherregal aussortiert. Denn seine Botschaft ist leider zeitlos.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)
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