Glitzernd
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/14687
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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrerin Kathrin Oxen
aus Berlin
Glitzernd 11.12.2024
Wahrscheinlich sind die beiden nur Aushilfen für die Zeit der langen Schlangen. An der Kasse des großen Kaufhauses stehen zwei junge Männer, offenbar erst frisch eingearbeitet. Ihre Freundlichkeit ist noch nicht abgewetzt von all den eher freudlosen „Schlips-und-Socken-geht-immer“ oder „Dann-nehm-ich-eben-einen-Gutschein“-Kundinnen und Kunden.
Bei meiner Frage nach bestimmten langen Tennissocken, die sich meine Tochter wünscht, bemühen sie sich sichtlich, aber auch ein bisschen ironisch um Fachkundigkeit in der Sockenberatung. Und zu meinen drei Glitzeroberteilen, deretwegen ich eigentlich gekommen war, weil die Glitzeroberteil-Auswahl nie so groß ist wie jetzt vor Weihnachten, packen sie mir dann noch ein Geschenk des Hauses in die Tüte: Ein schönes, duftendes Pflegeset. „Für ihre Tochter“, zwinkern sie mir zu. „Ich habe aber leider drei“, sage ich, mehr im Scherz.
Die zwei sehen sich kurz an und wollen mir mir gerade zwei weitere Sets in die Tüte packen. Da kommt ihre schon durch ihre strenge Brille als vorgesetzt gekennzeichnete Vorgesetzte dazu. „Es gibt nur ein Set pro Kunde“, ermahnt sie die beiden und entfernt sich wieder. Mit verschwörerischem Lächeln schmuggelt der eine mir trotzdem noch ein zweites Set in meine Tüte, während der andere mir von hinter der Kasse noch eine Packung Tee aus einer vergangenen Give-Away-Aktion holt.
Dann wünschen die beiden mir ausführlich noch eine gute Zeit und frohe Weihnachten und überhaupt alles, was ich mir wünsche. Wir lachen und verabschieden uns herzlich. Mit drei Glitzeroberteilen, zwei Pflegesets und einer Packung Tee verlasse ich das Kaufhaus. Ohne langweilige Socken, aber innerlich glitzernd und mit einem Lächeln im Gesicht trete ich auf die Straße. Draußen ist es wie immer, nur mit Weihnachtsbeleuchtung. Aber in mir ist jetzt die unbezahlbare Sicherheit, dass Freundlichkeit diese Welt einfach verändert.
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“ (Lukas 21,28), das ist der Bibelspruch für diese Woche. Sonntag habe ich ihn im Gottesdienst gehört und gedacht: Das muss ja etwas sehr Großes sein, diese Erlösung, wenn man zu ihr so aufblicken muss. Und jetzt stelle ich fest: Erlösung mit ihren vielen Namen wie Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Zuwendung, Humor ist viel kleiner, als ich dachte. Sie gibt es tatsächlich an der Kasse eines großen Kaufhauses in der Adventszeit mitten in Berlin, ganz umsonst sogar. Bestimmt nicht nur ich bekomme sie mit in meine Tüte gepackt. Und merke: An solchen Erfahrungen richte ich mich innerlich auf.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)
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