Steinzeit

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/14849

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pfarrerin Kathrin Oxen

aus Berlin

Steinzeit 24.01.2025

Ein 30.000 Jahre alter Oberschenkelknochen mit einem verheilten Bruch - das ist das erste Zeichen der Zivilisation. Jedenfalls, wenn man die Anthropologin Margaret Mead fragt. Wer sich den Oberschenkelknochen bricht, ist monatelang auf Hilfe und Pflege angewiesen. Schon in der sogenannten Steinzeit waren Menschen offenbar füreinander da. Verletzte wurden nicht ihrem Schicksal überlassen, sondern gepflegt und versorgt. Das sei der Anfang der Zivilisation. Ein schöner Gedanke.

Allerdings habe ich mich fast sofort gefragt: Wer war es denn wohl, der am Lager des Kranken gesessen und den monatelangen Heilungsprozess begleitet hat? Ich war mir ziemlich sicher, dass es kein Er war – sondern eine Sie. Diese Episode stammt aus einem Buch, in dem Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählt wird. (1) Es räumt auf mit den üblichen Vorstellungen von fürsorglichen Frauen, die in der Höhle warten, und mutigen Männern, die auf die Jagd gehen. Wahrscheinlich werden einige jetzt enttäuscht sein: Das war nicht einmal in der Steinzeit so.

Wer es heute immer noch in Ordnung findet, dass die sogenannte „Care-Arbeit“ ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt ist, kann sich auf alles Mögliche, aber nicht auf die Evolution berufen. Nein, mein Mann und der Vater meiner Kinder soll mir nicht bei der Care-Arbeit „helfen“ - die also eigentlich meine Arbeit ist. Er soll seinen Anteil an dieser Arbeit übernehmen. Und zwar mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie ich. Ich besitze nämlich gar keine evolutionären Vorteile im Blick auf die Bedienung von Haushaltsgeräten des 21. Jahrhunderts.

Das, wogegen wir zu kämpfen haben, stammt nicht aus der Steinzeit. Es sind die Rollenmodelle der Geschlechter aus dem 19. Jahrhundert. Ausschließlich Männer erforschten damals die Steinzeit und projizierten die Rollenbilder ihrer Gegenwart in die Vergangenheit zurück. Und die christliche Kirche hat das Ihre dazu getan, diese Zuordnungen festzuschreiben. Und dafür dann bei Adam und Eva begonnen.

Aber wer fing denn nun mit der Zivilisation an, lange bevor die biblische Idee der Nächstenliebe erfunden war? Wer saß in der Höhle am Lager der Kranken? Die Autorin des Buches hat eine eigene Theorie. Ich finde sie beinahe noch schöner als den Gedanken, dass die Zivilisation mit der Care-Arbeit beginnt: Es waren die Großmütter.

Weil unsere Vorfahren „instinktiv wussten, dass sie jedes Element in gleichem Maße brauchten: Junge Männer, die mit Speeren wedelten, junge Frauen, die Kinder bekamen und bei der Jagd die Fährten legten. Und Großmütter, die Kinder aufzogen und geduldig neben den Verletzten warteten, bis ihre Knochen wieder verheilten“, lese ich. Und denke: Klassische Rollenmodelle sind ein evolutionärer Nachteil.

Es gilt das gesprochene Wort.

Literaturangaben:

(1) Annabelle Hirsch, Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten, Zürich 2022.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorländer (martin.vorlaender@gep.de)

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