Zwischen den Stühlen

Shownotes

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Am Sonntagmorgen im Deutschlandfunk

Pfarrerin Anne-Katrin Helms / Pater Ansgar Wucherpfennig SJ

aus Frankfurt am Main

Zwischen den Sthlen 30.03.2025

In den biblischen Erzhlungen ber das Leiden und den Kreuzestod von Jesus gibt es eine Reihe von Personen, deren Namen viele kennen: Pontius Pilatus, Petrus, Maria Magdalena. Daneben kommen aber auch Menschen vor, die eher eine Nebenrolle spielen. Die mag ich besonders. Fr mich sind sie so etwas wie Lieblingshelden im Alltag.

Einen davon stellen wir jetzt vor. Er zeigt, wie wichtig Menschen sind, die sich in aufgeheizten Situationen nicht gleich auf die eine oder auf die andere Seite schlagen. Unser biblischer Lieblingsheld heute heit Nikodemus. Er gehrte zu den Fhrenden in Israel, so steht es im Neuen Testament. Ein vermgender, einflussreicher Brger in Jerusalem.

Nikodemus war Phariser. Jesus setzt sich immer wieder mit Pharisern auseinander. Manche Forscher nehmen sogar an, Jesus gehrte selbst zu ihnen. Phariser sind eine wichtige Gruppe im damaligen Israel, eine Art Laienbewegung. Sie lasen die Bibel intensiv. Sie wollten im Einklang mit den Geboten Gottes leben.

Das Neue Testament stellt die Phariser in einem Zerrbild dar, das nicht der geschichtlichen Wirklichkeit entspricht. In den Evangelien gelten sie oft als unehrlich und kleinlich. Bis in unsere Zeit hlt sich das Bild von Heuchlern und Scheinheiligen. Das wird den Pharisern nicht gerecht.

Denn tatschlich waren Phariser gebildete Rechtsgelehrte. Ihre Position kann man kasuistisch nennen. Sie wollten mglichst viele Einzelflle also: mglichst viele Kasus regeln. Fr alles sollte es im Alltag eine Regel geben, die der Gerechtigkeit Gottes entspricht.

Nikodemus ist ein Phariser. Der Evangelist Johannes zeigt ihn als aufrechten Menschen, klug und nachdenklich. Es ist Nacht, als Nikodemus das erste Mal zu Jesus kommt, weil er sich mit ihm allein unterhalten will.

Ich stelle mir vor, wie sich Nikodemus im Dunkeln an den Hauswnden der Jerusalemer Altstadt entlang tastet, um nicht gesehen zu werden. Man knnte meinen, Nikodemus whlt aus Feigheit die Nacht, damit niemand sagt: Schau an, ein Phariser geht zu diesem dahergelaufenen Wanderprediger. Aber ich denke eher: Bei Nikodemus wie bei mir auch kommen in der Nacht Gedanken hoch, die ich sonst nicht zulasse. Nachts nimmt mich der Alltag nicht mehr in Beschlag. Es ist Zeit fr andere Fragen.

Zu Nikodemus gehrt das Grbeln, die Unsicherheit, die Sehnsucht nach Vergewisserung. Es braucht eine Portion Mut, wenn ich zugebe: Ich komme mit meinen Fragen nicht allein zurecht.

Gern bin ich doch selbst so schlau und fit, dass ich meine Probleme allein lsen kann. Nikodemus traut sich, zur Sprache zu bringen, was ihn nachts wachhlt. Deshalb geht er zu Jesus.

Ein Nachtgesprch zwischen Nikodemus, dem Phariser, und Jesus, dem Wanderprediger. Nikodemus fngt an: Rabbi, wir wissen, du bist ein Lehrer von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist. (Johannes 3,2)

Nikodemus spricht Jesus als Rabbi an. So haben damals Schler ihren Lehrer angeredet. Nikodemus ist selbst ein anerkannter Lehrer in Israel. Hier spricht er aber wie einer, der vom anderen lernen will. Nikodemus hat eine erstrebenswerte Eigenschaft: Er hlt sich nicht fr fertig, sondern bleibt neugierig und will mehr wissen. Nikodemus sagt zu Jesus: Ich wei, du bist etwas Besonderes. Deshalb traue ich dir Besonderes zu. Ich bin auf der Suche. Ich bin bereit, mich, meinen Glauben und mein Wissen auf den Prfstand zu stellen.

Wer schon mal vieles von sich oder sogar alles auf den Tisch gelegt hat, kann vermutlich Nikodemus verstehen. Ich mache mich angreifbar, wenn ich meine Fragen und Unsicherheit zeige vor einem anderen Menschen. Oder vor Gott. Wer das tut, merkt vielleicht: Ich bin nicht so, wie ich mich selbst sehe. Nicht ganz so selbstbewusst, wie ich dachte. Nicht ganz so stark, wie ich erhoffte. Nicht ganz so aufgeschlossen und freundlich, wie die anderen von mir denken. Sich so zu ffnen, kann weh tun. Aber es ist heilsam.

Das Gesprch, das sich nun zwischen Nikodemus und Jesus entwickelt, ist verwirrend, wenn man es das erste Mal in der Bibel liest. Auch Nikodemus versteht nicht sofort, was Jesus ihm sagen will. Nikodemus fragt Jesus sinngem: Was bedeutet Gott fr mein Leben? An welchen Zeichen erkenne ich, dass Gottes Geist in meinem Leben wirkt? Jesus gibt ihm eine Antwort, allerdings klingt die ziemlich rtselhaft: Der Wind weht, wo er will; du hrst sein Brausen, weit aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist. (Johannes 3,8)

Das Hebrische und das Griechische haben ein und dasselbe Wort fr Geist und Wind. Darum erklre ich mir Jesu Antwort so: Gottes Geist ist etwas, das den Menschen umgibt wie die Luft und der Wind. Jemand, der wissen will, was Gott fr ihn bedeutet, der muss auf Gottes Zeichen achten. Das ist so schwierig, wie den Wind zu beobachten. Der Wind kann schnell die Richtung wechseln oder aufbrausend sein. Manchmal steht er sogar still. So muss auch jemand, der Gottes Zeichen verstehen will, immer weiter und immer wieder neu lernen, wo Gottes Geist gerade gegenwrtig ist.

Den Wind kann man nie ganz genau berechnen. So kann ich auch nie ganz genau wissen, wo Gottes Geist weht. Aber ich kann ein Gespr dafr bekommen, in welche Richtung Gottes Geist mich bewegt, so wie der Wind die Bltter oder ganze Bume bewegt. In diesem Sinn verstehe ich die Antwort von Jesus an Nikodemus: Der Wind weht, wo er will; du hrst sein Brausen, weit aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der aus dem Geist Gottes geboren ist.

Nach dem Nachtgesprch mit Jesus taucht Nikodemus ein weiteres Mal im Johannesevangelium auf. Wir befinden uns im Tempel von Jerusalem. Jesus spricht vor vielen Menschen. Was er sagt, ist vielen religisen Gelehrten ein Dorn im Auge. Sie versuchen, Jesus festzunehmen. Das gelingt ihnen aber nicht. Um ihr Gesicht zu wahren, spielen sie herunter, was Jesus sagt und tut. Niemand, der Verstand habe, wrde auf das hren, was Jesus da von sich gibt. Jesus sei dreist, anmaend, gotteslsterlich.

Nikodemus gehrt zu diesen Gelehrten. Aber er macht da nicht. Er ergreift Partei fr Jesus. Er fragt, ob das Gesetz jemanden verurteile, bevor man ihn gehrt hat und bevor man sich einen tragfhigen Eindruck verschafft hat. Er bringt seine Kollegen ins Nachdenken. Er zeigt die Mglichkeit auf, dass man die Sache auch anders beurteilen kann, als es die Mehrheit macht.

Nikodemus tut das nicht mit einer scharfen Gegenrede, sondern mit einer Frage: Richtet denn unser Gesetz einen Menschen, ehe man ihn angehrt und erkannt hat, was er tut? (Johannes 7,51) Ich wnsche mir in vielen Auseinandersetzungen Menschen wie Nikodemus mit Geistesgegenwart und Gespr fr die richtige Frage zur richtigen Zeit.

Mit seiner Frage bleibt Nikodemus der Position der Phariser treu. Er fragt nach Recht und Gesetz, und das in einer aufgeheizten Stimmung. Heute wrde man davon sprechen, dass Nikodemus fr Rechtsstaatlichkeit eintritt, dafr, dass eine aufgebrachte Menge nicht einfach das Recht von Menschen beugen darf.

Das gilt auch heute in unserem Rechtsstaat. Es gibt viele, die die Rechte bestreiten von Menschen, die ihnen unliebsam sind, die sie am liebsten weghaben wollen. Zum Beispiel das Grundrecht auf Asyl fr politisch Verfolgte. Nikodemus erinnert mich daran, dass Recht und Gesetz fr jeden Menschen gelten, solange sie der Gerechtigkeit entsprechen. Und dass ich auch dafr eintrete.

Als Jesus gekreuzigt wurde, ist Nikodemus noch mutiger. Das Johannesevangelium erzhlt: Nikodemus geht zusammen mit einem Gleichgesinnten bei einbrechender Dunkelheit zum Kreuz. Sie nehmen Jesu Leichnam ab und bringen ihn zu einem Grab. Die beiden riskieren viel. Denn Jesus wurde wie ein Schwerstverbrecher am Kreuz hingerichtet. Schwerstverbrecher bekamen kein Begrbnis. Ihre Leichen wurden einfach in ein Massengrab geworfen.

Nikodemus verhindert das. Er tut sogar noch mehr: Er hat Myrrhe gemischt mit Aloe dabei. Das sind pflanzliche Mittel, die desinfizieren, konservieren und duften. Myrrhe und Aloe waren teuer. Nikodemus hat viel Geld dafr ausgegeben. Er salbt damit den geschundenen Krper Jesu. Die Salble wurden in die Leinentcher gerieben, mit denen der Leichnam eingewickelt wurde. Der Leichnam verwest dann nicht so schnell.

Nikodemus wollte dafr sorgen, dass Jesus ein wrdiges Begrbnis bekommt. Er zeigt damit: Jesus war und bleibt fr mich ein besonderer Mensch, ein kluger Lehrer mit einem gebildeten Herzen. Ich konnte mich ihm anvertrauen. Dass man ihm seine Wrde nehmen will, lasse ich auch nach seinem Tod nicht zu.

Nikodemus war kein Jnger Jesu. Vielleicht war er nicht mutig genug dafr. Vielleicht war er auch einfach noch nicht vollstndig berzeugt. Aber Jesus hat ihn beeindruckt. So sehr, dass er fr ihn eingetreten ist, als viele andere sich gegen Jesus gewendet haben. Heute wrde man das vielleicht Teilidentifizierung nennen. Nikodemus gibt nicht sein ganzes Leben fr Jesus auf. Aber so weit er kann, setzt er seine Stellung und sein Vermgen fr ihn ein.

Er gibt ein Beispiel dafr: Ich muss mein Leben nicht zu 100 Prozent einer berzeugung oder einem Lebensmodell verschreiben. Ich kann in meinem Beruf, in meiner Familie, in meiner Lebenssituation bleiben und gerade darin Gutes bewirken und mich zu meiner Verbindung zu Jesus Christus bekennen. Aber wenn es darauf ankommt, dann hoffe ich, dass ich tue, was richtig und wichtig ist. Und sei es zgerlich oder in der Nacht, wenn mich niemand sieht.

Nikodemus ist einer, der zwischen den Sthlen sitzen kann. Das hrt sich unbequem an. Zwischen zwei Stuhlkanten tut einem der Hintern schnell weh. Ganz praktisch sowie im bertragenen Sinn. In einem Konflikt kann ich mich mit beiden Parteien verbunden fhlen. Ich sehe, dass beide ihre Grnde und ihr Recht haben. Aber jede Seite will, dass ich mich fr sie entscheide. Dann muss ich aushalten, dass ich zwischen den Sthlen sitze. Beiden Positionen ihr Recht lassen. Aber auch meine eigene Position finden. Das ist Nikodemus gelungen. Er war Phariser und ist es auch geblieben. Gleichzeitig war er aufgeschlossen fr das, was Jesus sagte und tat.

Zurzeit bewegen sich Meinungen und Positionen immer strker auseinander und richten sich gegeneinander. Da sind Menschen wie Nikodemus wichtig: Menschen, die es fertigbringen, zwischen den Sthlen zu sitzen und die Verbindung zu den unterschiedlichen Konfliktparteien zu halten.

Hat Nikodemus die Auferstehung Jesu mitbekommen und daran geglaubt? Oder blieb er zwischen den Sthlen? Das lsst das Johannesevangelium offen. Aber es zeigt einen Jesus, der sich Menschen widmet, auch wenn sie nicht hundertprozentig auf seiner Seite stehen. So wie Nikodemus: Phariser und fasziniert von Jesus. Jemand, der zwischen den Sthlen sitzen kann.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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