Zusammenhalten
Shownotes
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Silke Niemeyer
aus Mnster
Zusammenhalten 08.04.2025
Wie ein Kfer, der nicht auf die Beine kommt, liegt meine Mutter hilflos im Dreck. Sie ist mit ihren 82 Jahren bse gestrzt vor ihrem kleinen Haus, in dem sie allein lebt. Aber sie ist nicht allein.
Sofort sind sie da Therese, die nebenan im Garten werkelt und herbeieilt. Nachbar Wilhelm, der alles stehen und liegen lsst, um zu helfen. Sie richten auf, trsten, rufen den Krankenwagen. So geht das weiter in den nchsten Wochen, denn Mutters Ellbogen ist kompliziert gebrochen. Elke von nebenan giet die Blumen, sichtet die Post, zieht die Rolllden am Morgen hoch und lsst sie am Abend runter. Die alte Freundin Monika wird zur Chauffeurin. Die Geschwister Edelgard und Mecki kommen, nachdem sie in den eigenen Beeten gearbeitet haben, schnell mal angefahren in ihrer Gartenkluft und kmmern sich um Mutters Beete. Die Nichten und Neffen stehen parat, reparieren dies und das. Die Kirchengemeinde kmmert sich, holt Mutter ab zu Mittagstisch, Gottesdienst oder Konzert.
So ist das da. Immer. Und wenns richtig drauf ankommt, besonders. Da wird sich gefreut mit den Frhlichen. Da feiert man zusammen, wenn es was zu feiern gibt. Da wird geweint mit den Weinenden. Da geht man selbstverstndlich mit zur Beerdigung, wenn der Heinz oder die Gerda stirbt. Da brt man ein paar Reibekuchen mehr und ldt den verwitweten Nachbarn dazu ein. Da klagt man sein Leid, wenn mans gerade schwer hat, und geht dann etwas getrsteter weiter. Klar, da wird auch ordentlich getratscht, wenn es was zu tratschen gibt, und da wird gemunkelt, wenn es was zu munkeln gibt. Wre ja langweilig sonst. Aber im Grunde sind sie alle auf Gutes bedacht gegenber jedermann. Sie trachten nicht nach hohen Dingen. Sie halten sich zu den niedrigen, zu den ganz alltglichen, zu den kleinen groen Dingen, die so wichtig sind, um sich sicher zu fhlen und geborgen und heimatlich. Auch wenn sie sich mal streiten, das kommt natrlich vor nach Mglichkeit, soviel an ihnen liegt, halten sie Frieden. Sie haben keine Lust auf Zank, weil sie eine Ahnung davon haben, wie angewiesen sie aufeinander sind.
Als ob der Apostel Paulus eine Vision meines Heimatdorfes vor Augen hatte, als er vor 2000 Jahren schrieb: Freut euch mit den Frhlichen, weint mit den Weinenden. Seid auf Einigkeit miteinander aus. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst fr klug. Vergeltet niemandem Bses mit Bsem. Seid auf Gutes bedacht gegenber jedermann. Ists mglich, soviel an euch liegt, habt mit allen Menschen Frieden. (Rmer 12, 15-18)
Nein, ich erzhle nicht von einer Insel der Seligen oder aus dem Wolkenkuckucksheim. Ich berichte aus dem ganz normalen Leben, wie es in meinem Heimatort stattfindet. Und wie es sich von Aachen bis Zittau und von Flensburg bis Fssen tglich ereignet. Das groe Zusammenhalten ber alle Meinungen, politischen Farben und Ansichten hinweg. Diese Solidaritt findet in der analogen Welt statt, da, wo man den Hilferuf der Nachbarn hrt, ihren Trnen das eigene Taschentuch hinhlt und das Glck in der geteilten Geburtstagstorte schmeckt. Da, wo der Andere erstmal ein Mensch ist und erst danach ein Linker oder ein Rechter, eine Deutsche oder eine Auslnderin, ein Hetero oder ein Homo, eine Christin oder eine Muslimin oder noch irgendwie anders oder gar nicht glubig ist.
Ich vergesse oft, dass dieser Gemeinsinn, diese tausend und abertausendfach praktizierte selbstverstndliche Nchstenliebe, einfach, weil der Mensch ein Mensch ist, viel grer ist als die Spaltung und der Hass und das Aufeinanderlosgehen. Und mindestens genauso real.
Ich hab es nach dem Unfall meiner Mutter gerade wieder erlebt. Es ist gar nicht so schwer; es macht sogar glcklich.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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