Respektiert ein Leben lang

Shownotes

Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/node/12538

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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur

Pfarrerin Veronika Krötke

aus Berlin

Respektiert ein Leben lang29.06.2022

Als meine Kinder noch kleiner waren habe ich ihnen gerne die Geschichten von der Kinderbuchautorin Kirsten Boie vorgelesen. Besonders mochte ich die Abenteuer des kleinen „Ritter Trenk“. Trenk - ein Bauernsohn, der gegen das Stigma seiner Herkunft ankämpft: „Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang.“ Arme und Reiche, Bauern und Edelleute sind in dieser mittelalterlichen Welt getrennt durch unüberwindliche Grenzen. Trenk gelingt es mit List, Mut und nicht zuletzt der Hilfe seiner Freundin Thekla, diese Grenzen zu überschreiten, so dass es dann über ihn heißt: „Leibeigen geboren, als Ritter gestorben, tapfer ein Leben lang!“.

Nun, so manche Entscheidungsträger in Berlin scheinen Trenks Geschichte ebenfalls gelesen zu haben. Nur verstehen sie sie offenbar etwas anders. Nicht bleiben zu dürfen, wo man einmal aufgewachsen ist, ist heute vor allem in Berlin gang und gäbe. Ich erinnere mich an einen Politiker, der vor ein paar Jahren verlauten ließ: Das Prinzip ‚In Mitte geboren – in Mitte gestorben‘“, darf es nicht geben. Es sei Hartz IV-Empfänger:innen zuzumuten, an den Stadtrand zu ziehen. Man ginge fehl, wollte man dafür sorgen, dass die sozial Schwächeren mit Botschaftern und Anwältinnen in einer Straße wohnen. So werden Reiche und Arme letztlich doch wieder hübsch getrennt.

Nun, so manche Entscheidungsträger in Berlin scheinen Trenks Geschichte ebenfalls gelesen zu haben. Nur verstehen sie sie offenbar etwas anders. Nicht bleiben zu dürfen, wo man einmal aufgewachsen ist, ist heute vor allem in Berlin gang und gäbe. Ich erinnere mich an einen Politiker, der vor ein paar Jahren verlauten ließ: Aber ist das unsere Stadt? Ist das meine Stadt? In einigen durchgentrifizierten Bezirken wie dem Prenzlauer Berg ist schon lange die Lebendigkeit des einstmals pulsierenden urbanen Stadtteils einer gewissen Ödnis von immer gleichen Einrichtungsläden, Wellnessoasen und Bäckern gewichen. Andere Bezirke wie der Wedding zittern. Jeder Bioladen mehr ist Fluch und Segen zugleich.

Nun, so manche Entscheidungsträger in Berlin scheinen Trenks Geschichte ebenfalls gelesen zu haben. Nur verstehen sie sie offenbar etwas anders. Nicht bleiben zu dürfen, wo man einmal aufgewachsen ist, ist heute vor allem in Berlin gang und gäbe. Ich erinnere mich an einen Politiker, der vor ein paar Jahren verlauten ließ: Neue Wohnungen braucht nicht nur Berlin. Wohnungen für alle. Bezahlbar, zur Miete, kein Eigentum, mit ausreichend Platz. Die Alleinerziehende, die Handwerkerin, der Mittelständler, die Migrantin sollen in der Mitte Berlins und überhaupt in allen Zentren von Städten bleiben können und nicht kurzsichtig an den Rand gedrängt werden. Im Lukasevangelium erzählt Jesus, wie es gehen kann. Arme und Ausgestoßene einladen, sie notfalls von den Zäunen und Landstraßen holen. In seinem Zentrum, im Reich Gottes zählt nicht, was du dir leisten kannst, sondern, dass du da bist, dass du so bist, wie du bist.

Der kleine Ritter Trenk hätte dann wohl gesagt: „In meiner Stadt zu Hause, in meiner Stadt gestorben, respektiert ein Leben lang.“

Der kleine Ritter Trenk hätte dann wohl gesagt: Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein (reinhold.truss-trautwein@gep.de)

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