Lob der Unvollkommenheit

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pfarrerin Silke Niemeyer

aus Mnster

Lob der Unvollkommenheit 12.04.2025

Es wird Zeit das Unvollkommene zu loben. Ich spreche heute fr alles, was nicht optimal und supergut, nicht fertig und fehlerlos, nicht glatt und geschniegelt ist. Ich spreche fr alles, was vorlufig, anfllig und verbesserungsfhig ist. Und nicht zu vergessen: ich pldiere auch fr das Vergessen.

Warum? Eine fehlerfreie, allwissende Superintelligenz, die die Welt perfekt macht, ist fr mich eine Horrorvorstellung. Erstmal klingt das verfhrerisch: Knstliche Intelligenz schafft vollendete Lsungen fr alles, was die Zukunft bedroht. Das ist die smarte Erlsungsreligion der Tech-Apostel. Wir dummen Menschen mssen uns dann nicht mehr damit qulen. Verantwortung, ade! Die heiklen Entscheidungen frs Klima, fr die Sicherheit, fr den Weltfrieden werden uns abgenommen von Maschinenschlauheit. Und wir, wir knnen ...

Ja, was knnen wir eigentlich, wenn wir nichts mehr knnen mssen und nichts mehr mssen mssen und dann auch noch hundert Jahre lnger leben? Wer will in so einer Zukunft noch leben? Ich nicht. Denn wo werde ich dieses wunderbare Gefhl erleben, gebraucht zu werden. Wozu soll ich lernen, wozu berhaupt noch leben, wenn eine Maschine es am Ende immer besser wei, wenn ihr mehr vertraut wird als mir, wenn sie besser ankommt, wenn sie mir die Arbeit abnimmt und auch noch billiger ist? Wie kann ich gewiss sein, dass es mich nur als Original und nicht als optimierte Kopie gibt?

Das ist alles noch Zukunftsmusik. Aber einige Tne ihrer Melodie wehen schon rber und sie klingen schrg. Die lassen sich ihre Texte natrlich von KI schreiben, erzhlt mir eine, die an der Uni lehrt, ber ihre Studierenden. Und grinst: Ich kann es nicht beweisen, aber ich kann sie spren lassen, dass ich es wei. Ich schmunzle mit. Aber eigentlich ist es ja zum Heulen. Eigentlich msste man doch tieftraurig werden ber dieses seltsame Ich wei, dass du weit, dass ich weiߓ. Die persnliche Leistung steht unter Verdacht. Das Lob steht unter Vorbehalt. Und allen ist es bewusst. Das ist sowas wie Lusebefall frs Selbstbewusstsein.

Im brigen bestehe ich auf dem Vergessen. Was fr ein Segen, dass die Erinnerung nicht total und das Gedchtnis nicht absolut ist. Wie gut, dass manche Entscheidungen und Erfindungen einfach vergessen wurden. Wie gut, dass an manche Peinlichkeiten nicht mehr gedacht wird. Das hlt das Zusammenleben geschmeidig. Wie gut, dass nicht alles gespeichert und als Information abrufbar ist. Dass man also sich gegenseitig erzhlen und erinnern muss: Wie war das nochmal? Dass man rtseln und ringen muss, was wahr ist und nie damit fertig wird. Wahrheit ist ja so viel mehr als die totale Information.

Die KI verlsst das menschliche Ma, so hilfreich sie im Einzelfall auch sein kann. Es ist schon jetzt dringend, diese Technologie so einzuhegen, dass wir menschlich Mensch bleiben knnen. Ganz elementar gehrt unsere Endlichkeit dazu: Des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Plne. heit es im Psalm 146.

bersetzt ins Heute heit das: Mangelhaftigkeit gehrt zur Menschlichkeit des Menschen. Er ist unvollkommen, er macht sich schuldig, er verzweifelt, er scheitert, er stirbt. Daran leidet der Mensch manchmal wie ein Hund. Trotzdem: Es ist gruselig, das ausmerzen zu wollen. Weil der Mensch unvollkommen ist, kann er Liebe erleben. Weil er schuldig wird, kann er Vergebung erleben. Weil er verzweifelt, kann er Trost erleben. Weil er scheitert, kann er Hilfe erleben. Weil er sterblich ist, kann er auferstehen. Lieben aber und vergeben, trsten, helfen und wiederaufstehen sind doch die Wunder des Lebens. Ohne sie wre es ein armes Leben, und wre es noch so lang.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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