Die Hütte in Schweden
Shownotes
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrer Michael Ksling
aus Berlin
Die Htte in Schweden 20.05.2025
Per hat Kohle benutzt. Ein kaltes, hartes Stck. Fast auf den Tag genau vor 46 Jahren. Karin und Inga haben sich zuerst verraten. Das Licht meiner Stirnlampe hat ihre Namen an der Wand gestreift, als ich meinen Schlafsack ausrolle auf dieser Pritsche, auf der ich bernachten werde. In der stillen Weite Schwedens habe ich diese Htte gefunden. Ich bin schon seit Tagen allein durch die Wlder gewandert, ber die sanften Hhen.
In dieser Htte merke ich auf einmal: Ich bin hier nicht allein. Das Licht, das sich durch das blinde Glas der kleinen Fenster presst, schafft es nicht bis in die dunklen Ecken. Die Holzbalken verlieren sich im Finstern. Aber ich habe meine Stirnlampe. Und ich fahre mit meinen Hnden das blanke, harte Holz entlang. Meine Finger finden Kerben: Vokale, Konsonanten, Zahlen. Immer mehr Namen. Daneben: Orte, Heimaten, Krzel. Sie zeigen: Vor mir waren viele andere da. Sie sind prsent, denn sie haben ihre Namen auf die Holzbalken geschrieben oder eingeritzt. Einige erst vor kurzem, andere schon vor vielen Jahrzehnten, als ich noch gar nicht geboren war.
Ich bin neugierig, wer hier noch alles war vor mir. Ich zwnge mich in die Winkel. Ich leuchte sie aus und finde Henrik und Ida, die in den letzten Tagen des September 2016 stark verliebt gewesen sind. Ein sauber geschnitzter Schwur. Ein Herz. Ich sehe Blumen eingraviert. Ob man hier einen Geburtstag gefeiert hat? Helmut war hier, aus West-Germany. Die lteste Inschrift datiert von 1930. Ich finde sie auf dem Holz der Tr und vermute: Der hier war einer der Ersten, der in die Htte eintrat, Feuer machte, a, schlief. Wie hat dieser Mensch gelebt? Was war sein Glck? Was war seine Trauer? Wie ist er gestorben?
Christoffer, Una, Patrik. Ich entziffere weitere Namen. Ich flstere sie. Ich rufe sie leise in die Dunkelheit hinein. Vor langer Zeit eingraviert sind ihre Namen jetzt da, gegenwrtig an diesem Abend, an dem drauen der Wind um die Htte streicht und drinnen das Feuer im kleinen Ofen langsam die klamme Khle hinaustreibt.
Immer mehr Namen. Es wird langsam voll hier drin. Mit jeder Namensnennung lade ich jemanden ein, Platz zu nehmen. Eine Flle von Geschichten, Schicksalen, Anekdoten. Ein Wispern, Raunen, Zusammenrcken. In der Wrme des Ofens schmilzt dieser Tag in die Ewigkeit hinein.
Ein altes Bild aus der Bibel: Gott hat die Namen der Menschen in seine Hand geschrieben. So hat er sie immer vor Augen. Keine und keiner geht verloren. Nicht ein einziger Mensch. Alle Geschpfe, die Gott beim Namen gerufen hat. In der Bibelstelle sagt Gott: Ich will dich nicht vergessen. Und fordert auf: Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir.
Ich mag diese Vorstellung: Gott versammelt uns. Alle sind miteinander verbunden. Wir bilden eine groe Gemeinschaft, eine Menschheitsfamilie und mehr noch eine Schpfungsfamilie. ber die Entfernung von Raum und Zeit hinweg. Durch die Zeit hindurch Richtung Ewigkeit.
Das ist mein Gefhl an diesem Abend in der Htte mitten in Schweden. Und so, als wrde ich Anspruch erheben auf dieses gttliche Versprechen, auch nicht verloren zu gehen, nehme ich mein Messer und ritze in das harte Holz eines Balkens, links oben neben die klapprige Tr, die Initialen meines Namens und das Jahr: MK 23. Ich befinde mich jetzt in guter Gesellschaft.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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