Bienen

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pfarrer Michael Ksling

aus Berlin

Bienen 21.05.2025

Den Stich in mein Kinn kurz vor meiner Abreise habe ich ihnen lngst verziehen. Die leergeschleuderten Waben mssten in der Zwischenzeit wieder gefllt und gut verdeckelt sein. Ich habe an sie gedacht, als ich weg war zum Wandern in den Bergen. Sorgen habe ich mir gemacht. Die Art echter Sorge, die aus einer tiefen Verbundenheit entsteht, aus Zuneigung und Leidenschaft. Deshalb gehe ich, noch mit Rucksack und Wanderschuhen, nachdem das Gartentor hinter mir ins Schloss gefallen ist, gleich zu ihnen, meinen Bienen.

Ich schaue, ob noch alle da sind. Ich bin ein bisschen angespannt, spre ich. Aber dieses Gefhl macht sofort einer frhlichen Erleichterung Platz, denn es summt herrlich. Und mitten im Gesumm hlt sich dieser se Geruch von Honig. Ich atme tief ein. Ein Augenblick gelster Dankbarkeit. Alles ist so, wie es sein soll. Ich bin zurck, und meine Bienen sind noch da. Ein kurzes Stogebet.

Doch nichts bleibt so, wie es ist. Das ist die Lektion, die mich die Bienen lehren. Dabei gibt es ja sonst schon gengend Vernderung und Durcheinander. Drauen in der Welt. Im Beruf, wo ich oft das Gefhl habe, man transformiert sich ins Delirium. Und privat muss man ebenfalls stndig Vernderungen verkraften: Die Kinder ziehen aus. Ich werde lter und merke das seit Neuestem auch. Da wre es erholsam, wenn bei meinen Bienen alles vorhersehbar laufen wrde. Ein Refugium, Kraftort, Versteck. Alles htte seine gute Ordnung. Verlsslichkeit. Sicherheit. Aufatmen. Abschalten. Zur Ruhe kommen.

Meine Bienen sehen das anders. Denn kaum bin ich von meiner Wanderung aus den Bergen wieder daheim angekommen, zeigen sie mir, wie Aufbruch geht. Ein paar Tage spter sitze ich im Garten, und das Gesumm ist sonorer als sonst, krftiger, fast stofflich. Das Wetter ist gut. Die Linde blht. Da muss halt jede ran, denke ich. Ich schaue trotzdem nach.

Tausende Bienen strzen sich aus dem Flugloch und steigen sofort fast senkrecht in den Himmel. Ein Erguss aus Bienenleibern. Ein dunkler Tornado aus Chitin. Ich stehe mittendrin und kann nichts machen. Die Bienen brechen auf. Sie schwrmen aus. Nichts und niemand kann sie aufhalten. Ich wohne einem 50 Millionen Jahre alten Ritual bei: die Vermehrung der Bienen. Die alte Knigin verlsst mit einer Hlfte ihres Volkes den Bienenstock. Eine neue junge Knigin bernimmt die Regentschaft. Aus einem Volk werden zwei Vlker. Seit Urzeiten geht das so.

Jetzt vergehen nur wenige Minuten, da hngt hoch ber mir in der Tanne eine dunkle Traube. Der Schwarm geht ins Risiko. Er ist heimatlos und ausgesetzt. Die Bienen haben jetzt drei Tage Zeit, eine neue Heimat zu finden. Dann geht ihnen das Futter aus. Es ist ein Aufbruch ohne konkretes Ziel. Eine Zwischenzeit. bergang. Ein Wagnis. Verletzliches Ausgesetztsein. Pure Konzentration.

Vor ihnen die Leere. Und in der Leere schon irgendwo ein hohler Baum, ein Dachkasten, eine Zwischenwand. Irgendwo ist was zu finden, wo sie ihren neuen Stock bauen knnen. So wird mir das Schwrmen der Bienen zum Sinnbild fr einen Aufbruch, auch wenn noch gar nicht klar ist, wohin es geht. Die Bienen fliegen ins Unbekannte mit dem intuitiven Wissen: Sie werden finden. Ich nenne das Vertrauen.

Am Morgen nach drei Tagen hebt ein Gesumm an, wie ich es schon einmal gehrt habe. Die dunkle Traube wird kleiner und kleiner, schrumpelt ein, lst sich in ihre Einzelteile auf: Tausende Bienen fliegen ber die Dcher in den Wald. Eine dunkle, aber durchsichtige Wolke am blauen Himmel. Flchtig. Die Bienen haben einen Ort gefunden. Irgendwo werden sie heute eine Leere mit Leben fllen. Der Aufbruch hat sich gelohnt.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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