Himmelsdurchschreiter

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pfarrer Michael Ksling

aus Berlin

Himmelsdurchschreiter 24.05.2025

Als der Wal zum Drachen wurde, luteten die Glocken. Die Sonne stand hoch. Ein paar groe weie Wolken zogen in Ruhe durch das Himmelsblau. Unten auf der Erde lag ich als kleiner Junge auf einer Wiese und schaute zu, wie die Wolken sich formten. Die eine war ganz eindeutig ein Wal mit krftigem Leib, Flossen an der Seite und einer imposanten Schwanzflosse. Fluke heit sie. Ich war als Junge stolz, dass ich das wusste.

Aber dem Wolken-Wal da oben wuchsen langsam Zhne im Maul. Die Finne auf seinem Rcken wurde immer zackiger und entwickelte sich zu einem ganzen Zackenkamm vom Kopf bis zum Schwanz. Und was vorher Flossen waren, sah auf einmal aus wie Klauen. Da flog ein Drache in einem unendlich blauen Himmel ber mich her.

Die Kirchenglocken luteten. Das war das verabredete Zeichen: Zeit zum Mittagessen. Die Himmelsschau war beendet. Ich stand aus dem Gras auf und ging nach Hause. Der Himmel ber solchen Wiesen ist voller Wunder. Als Kind konnte ich oft und stundenlang darber staunen. Heute als Erwachsener mache ich das selten.

Aber es gibt im Lauf des lterwerdens noch andere Gelegenheiten, in der Wiese zu liegen und nach oben zu schauen. Frisch verliebt liegt man zu zweit unter einem solchen Himmel und ist dann auch ein bisschen abgelenkt. Spter habe ich unsere Tochter in den Himmel geworfen. Ihr vergngtes Quieken, als sie abhob, kurz im Blau schwebte und dann wieder in meinen Armen landete.

Der Himmel ist voller Wunder. In der Bibel gibt es ein Bild, das beschreibt Christus, der die Himmel durchschritten hat. (Hebrer 4,14) Sich sozusagen durch diese Wunder hindurch bewegt hat, von ihnen eingehllt war. Ein wunderumwlkter Christus. So knnte man sich das vorstellen. Oder anders: Christus, mit Wundern im Schlepptau. Wie er die Wunder auf die Erde zieht an langen Schnren aus Lichtglanz.

Aber der Himmel war und ist nicht nur voller Wunder. Er sah frher und sieht heute auch anders aus. Reels zeigen mir, wie Kampfjets ber den Wolken durchs ewige Blau donnern, unter ihren Flgeln die tdliche Fracht. Ich hre von Drohnenschwrmen, die ber Stdte herfallen im Schutz der Nacht. Ich hre von nuklearen Schirmen, unter denen sich ganze Nationen kauern sollen. Ich lese von den Kindern in Charkiw, die acht Meter unter der Erde hinter einer 20 Zentimeter dicken Stahltr lesen und schreiben lernen.

Durchschreitet Christus auch diese Himmel? Durchzieht er dann die Trmmerlandschaften? Durchstreift er die Ruinenstdte? Findet er den Raum unter der Erde, wo die Kinder das Wort Frieden schreiben lernen? ???. (Mir) Und Vershnung? ?????????? (Primirenja). Gnade? ????????? (Blahodat?). Lernen wir das noch gemeinsam? Und vor allem: Lernen wir das noch rechtzeitig?

An schlechten Tagen, wenn mich das Weltgeschehen besonders bedrckt und ich mir Sorgen um die Zukunft meiner Kinder mache, an solchen Tagen empfehle ich meinem Sohn einen systemrelevanten Beruf: Feuerwehrmann zum Beispiel. Weil ich nicht will, dass er in den Krieg ziehen muss. Diese Vorstellung macht mich ganz verrckt. Dann lese ich zur Sicherheit in unserem Grundgesetz nach und bin frs Erste beruhigt. Da steht das Grundrecht: Aus Gewissensgrnden kann jeder den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern.

Und ich bete, dass Christus, der die Himmel durchschritten hat, auch seinen Weg bis auf den Grund der Herzen von uns Menschen findet und wir eine neue Sprache lernen: ???. ??????????. ?????????. Frieden. Vershnung. Gnade.

Der Himmel klart auf. Den Drachen, die dort ihre Bahnen ziehen, fallen die Zhne aus, ihr Schuppenpanzer blttert. Die Glocken luten. Es ist Zeit, aufzustehen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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