Sich zurücknehmen
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/wort-zum-tage/15194/sich-zuruecknehmen
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Wort zum Tage im Deutschlandfunk Kultur
Pfarrer Steffen Madloch
aus Berlin
Sich zurcknehmen 24.06.2025
Nimm dich mal nicht so wichtig. Das klingt erst einmal hart. Fast wie eine Ohrfeige fr unser Selbstbewusstsein. Schlielich wird uns doch berall gesagt: Sei einzigartig! Setz dich durch! Sei sichtbar! Und dann das: Nimm dich mal nicht so wichtig.
Doch genau dieser Gedanke steht im Kirchenkalender heute im Mittelpunkt. Der 24. Juni ist der Johannistag der Gedenktag fr Johannes den Tufer. Ein Mann, der sich bewusst zurcknahm. Viele Menschen kamen zu Johannes an den Jordan, um sich taufen zu lassen. Auch Jesus, damals noch vllig unbekannt. Johannes sieht ihn und sagt: Er, also Jesus muss wachsen, ich aber muss abnehmen.
Das ist eine Haltung, die zu jeder Zeit wie aus der Zeit gefallen wirkt. Johannes wusste: Nicht er selbst steht im Mittelpunkt, sondern das, was durch ihn hindurchscheinen soll. Gottes Licht. Und das bringt dieser Jesus, den noch keiner kennt.
Sich selbst zurcknehmen, um den Blick auf etwas Tieferes zu lenken. Das kann auch die Kunst. Heute vor 30 Jahren, am 24. Juni 1995, wurde der Berliner Reichstag verhllt ein Kunstprojekt von Christo und Jeanne-Claude. Wochenlang war das Zentrum der deutschen Demokratie unter silbrigem Stoff verborgen. Und paradoxerweise sah man gerade dadurch mehr: die Form, die Geschichte, die Symbolkraft dieses Gebudes, den hohen Wert der Demokratie.
Das trat durch die Verhllung in neuer Klarheit hervor. Als ob durch das Weglassen des Offensichtlichen das Eigentliche sichtbar wurde. Ich erinnere mich, was fr eine Leichtigkeit und Lebensfreude diese Kunstaktion auf die Stadt und weit darber hinaus ausstrahlte. Ausgelst dadurch, dass etwas verhllt wurde, sich zurcknahm.
Mein Eindruck ist, dass das manchmal auch mit uns selbst so ist. Wenn ich mich nicht stndig in den Vordergrund drnge, wenn ich nicht immer das letzte Wort haben muss, dann kann mehr vom anderen sichtbar werden. Vielleicht der Mensch neben mir. Vielleicht Gottes Wirken. Vielleicht einfach nur der Moment.
Nimm dich mal nicht so wichtig. Das ist kein Aufruf zur Selbstverleugnung. Es ist ein Gegenentwurf zur Selbstberschtzung. Eine Einladung zur Demut nicht als Ducken, sondern als Kraft. Wer sich nicht selbst aufblasen muss, hat die Hnde frei. Zum Helfen, zum Segnen, zum Loslassen.
Johannes der Tufer hat das vorgelebt. Auch der verhllte Reichstag vor 30 Jahren ist ein Sinnbild dafr: Manchmal leuchtet das Eigentliche auf, wenn das Ich in den Hintergrund tritt.
Mich mal zurcknehmen. Nicht um kleiner zu werden, sondern damit das Leben grer werden kann.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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