22 Bahnen
Shownotes
Die Andacht zum Nachlesen und -hören gibt es auch hier inklusive Download: https://rundfunk.evangelisch.de/morgenandacht/15208/22-bahnen
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Morgenandacht im Deutschlandfunk
Pfarrerin Claudia Aue
aus Kiel
22 Bahnen 03.07.2025
22 Bahnen schwimmt sie, wenn sie abtauchen will. Tilda studiert Mathe, kmmert sich um ihre kleine Schwester und ihre alkoholkranke Mutter. Jeden Abend, wenn sie es irgendwie schafft, schwimmt sie 22 Bahnen. Vor Kurzem hat die Autorin Caroline Wahl hier in Kiel aus ihrem Buch 22 Bahnen gelesen. Tilda ist ihre Hauptfigur.
Es ist fr mich ein Sommerbuch. Also kein Sommer-Sommerbuch im Sinne von Strand, Parties und Barfu-Laufen. Eher eine Geschichte von trotzigen Momenten zum Abtauchen. Denn so traurig die Geschichte um die alkoholkranke Mutter ist, so sehr sucht sich die Protagonistin Tilda fr ihre Schwester Ida und fr sich Abtauch-Mglichkeiten, irgendwo drauen.
In einer Szene heit es: ,Ich hasse euch, brllt das Monster uns nach, irgendwas fllt zu Boden, und ich sage: Morgen machen wir eine Wanderung. Wir packen uns einen Rucksack mit Mineralwasser, Msliriegeln, Sonnencreme und einer Wanderkarte, laufen zur Gartenwirtschaft, essen Kochkseschnitzel mit einem gemischten Salat und einer groen Cola, teilen uns vielleicht noch ein Stck Apfelkuchen zum Nachtisch und wandern wieder zurck. Wie eine Streberfamilie oder ein agiles Seniorenpaar, was meinst du? Ida antwortet: Vorschlag angenommen.
Und so wandern die beiden immer wieder raus aus den wrdelosen Szenen mit der Mutter in der kleinen Wohnung. Meine Lieblingsszene spielt auf einem Hochhaus. Ein Kumpel hat Tilda dorthin gebracht: Viktor. Tilda erzhlt: Wir stehen auf dem Dach circa 100 Meter ber der Erde, und ich halte den Atem an. Viktor: Von hier oben siehts ganz schn aus, oder? Ich nicke. Ich bin berwltigt von dem, was sich unter mir ausbreitet, und erlaube mir den Gedanken, dass mir vielleicht doch Groes bevorsteht. Wir setzen uns auf den Rand und schauen den Vgeln zu Mir ist scheikalt, aber ich will nicht da runter. Ich will hier oben bleiben.
Die Protagonistin des Buches Tilda stellt auf dem Hochhaus fest: Von hier oben wirkt das da unten alles so klein. Mama ist von hier oben nur ein kleiner Punkt unter vielen, der ganz egal wird, wenn gleichzeitig am knallpinken Himmel Schwrme von Zugvgeln in den Sden aufbrechen. Von hier oben kann man nicht erkennen, ob ein Punkt Alkohol oder Saft trinkt, ob er berhaupt irgendwas trinkt, und man hrt auch nicht, was ein Punkt sagt. Ist eben nur ein Punkt.
Hinauffahren auf ein Hochhaus und in den Himmel schauen. Abtauchen im Schwimmbad. Beide Momente helfen Tilda, damit sie sich der Situation zuhause nicht ausgeliefert fhlt. Gucken in den Himmel. Ahnen, wie es sein knnte: heiler, gesnder, friedlicher. Himmels-Momente knnen wir suchen auf dem Dach eines Hochhauses oder aus der Szene wandern oder 22 Bahnen schwimmen.
Manchmal finden mich Himmels-Momente auch ganz von selbst. Unverhofft wenn ich mit jemandem spreche oder jemanden treffe, die mir gut tut oder der ich gut tue. Im Gottesdienst oder in der Natur. Im Sommer ereilen mich solche Himmels-Momente manchmal etwas leichter. Oder ich bin offener dafr. Wenn die Tage lnger sind und es einfach mehr Licht gibt.
Es sind Augenblicke. Ich kann sie nicht festhalten. Aber vielleicht meine Sinne dafr ein bisschen trainieren. Sozusagen ein Sommer-Trainingslager ben, den Blick frei und himmelwrts zu bekommen oder auf Trme zu steigen, damit ich die Welt und mein Leben aus anderer Perspektive sehe und die Probleme kleiner werden. Oder in die Gartenwirtschaft wandern, Kochkseschnitzel essen und wieder zurck mit neuem Wind unter den Flgeln.
Es gilt das gesprochene Wort.
Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)
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