Nikolai ist kriegsmüde

Shownotes

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Morgenandacht im Deutschlandfunk

Pfarrer Jrg Machel

aus Berlin

Nikolai ist kriegsmde 28.07.2025

Alles hat seine Zeit und jedes Ding hat seine Stunde. (Kohelet 3,1 und f.f.) Ein Zitat aus der Bibel. Im Predigerbuch, wird es dem weisen Knig Salomon zugesprochen und leitet eine lange Aufzhlung von Gegenpaaren ein. Da liest man zum Beispiel:

Geboren werden hat seine Zeit und sterben hat seine Zeit,

weinen hat seine Zeit und lachen hat seine Zeit,

klagen hat seine Zeit und tanzen hat seine Zeit,

Krieg hat seine Zeit und Friede hat seine Zeit.

Nikolai merkt auf. Verhlt es sich tatschlich so, wie es in der Bibel steht? Gibt es wirklich eine Zeit fr den Krieg? Und muss man dann bereitstehen und selbst zur Waffe greifen? Noch bevor ihn ein Einberufungsbefehl erreichen konnte, hat Nikolai die Ukraine verlassen. Inzwischen wre es wohl zu spt, so spekuliert er. Viele seiner Freunde sind mittlerweile an der Front. Einige von ihnen sind gefallen. Es geht ihm nicht gut damit. Ist er ein Drckeberger, wie manche ihm vorwerfen? Hat er sein Land, seine Landsleute im Stich gelassen? Htte auch er in den Krieg ziehen sollen?

Nikolai fand es befremdlich, als deutsche Politiker darber nachdachten, ob wehrfhigen Mnnern aus der Ukraine tatschlich ein Schutzstatus in Deutschland zusteht. Deutschland liefert das Kriegsgert und die ukrainischen Mnner sollen damit geflligst in den Krieg ziehen, ihr Land verteidigen. Das ist der Deal. Nikolai rgert sich, wie grospurig manche Menschen, den Krieg in der Ukraine von ihrem Sessel aus gewinnen und wie wenig sie dabei von der Realitt an der Front zu wissen scheinen.

Auch er selbst hat ja nie im Schtzengraben gelegen, aber ber die Schilderungen seiner Freunde ist er dem Wahnsinn des Krieges doch sehr nahegekommen. Er hat gehrt, wie es ist, Leute neben sich sterben zu sehen. Er wei inzwischen, dass die Todesschreie von der gegenberliegenden Frontlinie genauso traumatisierend sein knnen, wie das Leid der eigenen Leute.

Vor allem aber wei Nikolai zu unterscheiden: zwischen den ffentlichen Aufrufen zum Kampf und der Realitt. Die Shne von Politikern findest du nicht im Schtzengraben, dort wo die Granaten einschlagen. Auch die Kinder der Reichen und Mchtigen landen, wenn sie denn berhaupt eingezogen werden, in der Etappe, wo es nur selten Tote gibt.

Diejenigen, die am meisten riskieren in einem Krieg sind gleichzeitig diejenigen, die von einem eventuellen Sieg am wenigsten profitieren. Die ganz einfachen Leute, die zu tausenden in der vordersten Front ihr Leben aufs Spiel setzen, bedauert Nikolai. Fr sie wird sich wenig ndern, egal wie der Krieg endet, so vermutet er. So wie der Wechsel von der Sowjetunion zu einer selbststndigen Ukraine fr sie keine wirkliche Befreiung war. Sie leben weiter von der Hand in den Mund, so war es und so ist es geblieben.

Nikolai dagegen hat das freie Leben durchaus geschtzt, das es zeitweise in der Ukraine gab. Aber er hat gesprt, dass diese Freiheit immer bedroht war und zwar nicht nur durch Russland, sondern auch von innen her. Und wenn er sich die Entwicklung whrend dieser drei Kriegsjahre anschaut, so sprt er, dass genau das von innen her verloren zu gehen droht, wofr man ihn doch vorgeblich an die Front schicken mchte.

Nikolai widerspricht dem Prediger vehement. Nein, eine Zeit fr Krieg gibt es nicht. Streit mag erlaubt sein, aber immer dann, wenn aus Streit Krieg wird, geht alles verloren, wofr man sich doch eigentlich einsetzen mchte.

Es gilt das gesprochene Wort.

Redaktion: Pfarrer Martin Vorlnder (martin.vorlaender@gep.de)

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